0247 - Kein Mörder träumt vom Todesstuhl
mir die Verhandlung anhören«, sagte ich und damit war das Gespräch zu Ende.
Die Verhandlung fand im Gerichtsgebäude des Stadtgerichts in der 54. Straße statt.
***
Richter Clinton, ein alter, bequemer Herr, präsidierte. Die Anklage vertrat der Stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Ridge, ein junger, schneidiger Bursche. Am Tisch der Verteidigung hatte Mr. Briggs Platz genommen.
Esther Armstrong machte durchaus keinen niedergeschlagenen Eindruck. Als sie von einer Gefängniswärterin hereingeführt wurde, sah sie sich neugierig um und nickte Phil und mir lächelnd zu. Sie schien sich ihrer Sache sehr sicher zu sein.
Die üblichen Formalitäten rollten ab, und die Zeugen marschierten auf.
Zuerst die Familienmitglieder, die zwar stockend, aber eindeutig zugeben mussten, dass Esther in der Zeit zwischen neun Uhr fünfzehn und neun Uhr dreißig nicht mit den anderen im Wohnzimmer gewesen war, sondern angeblich die Strümpfe gewechselt hatte.
Im Übrigen verweigerten die Familienangehörigen wie es ihr Recht war, die Aussage. Aber Esther selbst hatte den Krach mit ihrer Großmutter zugegeben und bestätigt, dass diese ihr mit Enterbung gedroht hatte. Der Diener Louis sagte aus, er habe diesen Krach durch die geschlossene Tür gehört und auch gesehen, wie Esther - allerdings erst um neun Uhr fünfundzwanzig - die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf lief.
»Wo waren Sie zwischen neun Uhr fünfzehn und neun Uhr fünfundzwanzig, Miss Armstrong?«, fragte Richter Clinton
»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich kann nur sagen, dass ich direkt vom Wohnzimmer nach oben ging«, erwiderte Esther. »Ob das um neun Uhr fünfzehn war oder um neun Uhr fünfundzwanzig, weiß ich nicht.«
Der Detective, der die Kette und den Schlüssel in Esthers Zimmer entdeckt hatte, sagte aus. Ein leises Raunen ging durch den Zuschauerraum.
»Was sagen Sie dazu, Miss Armstrong?«, fragte der Richter.
»Gar nichts. Ich habe weder die Kette noch den Schlüssel jemals in Händen gehabt und auch nicht in meine Toilettenschublade gelegt.«
Damit war die Beweisaufnahme geschlossen.
Der Staatsanwalt zog gewaltig vom Leder, und Rechtsanwalt Briggs hielt eine recht laue Verteidigungsrede. Er machte den Eindruck, als ob er selbst von der Unschuld seiner Klientin nicht ganz überzeugt sei.
Wäre ich an Stelle des Richters gewesen, ich hätte ihn gefragt, ob auch er sich eine Scheibe von der Erbschaft des alten Drachen abschneiden werde und ob das Ausscheiden von Esther Armstrong ihm Profit einbringe.
Der Richter fällte die Entscheidung, die ich erwartet hatte.
***
Esther Armstrong wurde wegen des dringenden Verdachts, ihre Großmutter ermordet zu haben, dem Geschworenengericht zur Aburteilung übergeben.
Sowohl Esthers Verwandtschaft als auch der Anwalt schnitten betrübte Gesichter, und als der Letztere auf Esther zuging, um ihr tröstend zuzureden, zeigte sie ihm einfach den Rücken und ließ sich abführen.
Ich konnte ihr das nicht verdenken. Lieutenant Crosswing, den ich beim Hinausgehen traf, zuckte die Achseln und meinte, die Ermittlungen gingen natürlich weiter, und zwar vollkommen vorurteilslos.
»Wenn ich Entlastungsmomente finde, so werde ich diese selbstverständlich nicht außer Acht lassen«, versprach er.
Ich hatte mich ebenso wie Phil über die laxe Art geärgert, in der die Verhandlung geführt worden war. Außerdem imponierte mir Esther. Eine andere wäre wahrscheinlich zusammengebrochen, aber sie war nur wütend gewesen.
Am Nachmittag geschahen zwei Dinge, die für die Lösung dieses vorläufig nicht außergewöhnlichen Falles von ausschlaggebender Bedeutung werden sollten.
***
Rechtsanwalt Briggs rief mich an und sagte mit vor Entrüstung bebender Stimme, Esther Armstrong habe sich jede weitere Bemühung von seiner Seite verbeten und ihn lediglich beauftragt, mir zu sagen, dass sie mich sprechen möchte.
Bereits zehn Minuten später meldete sich Lieutenant Crosswing.
»Hallo, Jerry. Sie haben mir heute Morgen Ihre rein private Meinung über den Mord an Mrs. Armstrong unterbreitet, und ich habe Ihnen versprochen, nichts zu unterschlagen, was zu Gunsten der Beschuldigten ausgelegt werden könne. Diese Mitteilung ist ebenfalls privat. Ich habe sie offiziell der Staatsanwaltschaft übergeben, die mir erklärte, sie sei von keinerlei Interesse.«
»Schießen Sie los, Lieutenant.«
Ich war neugieriger, als ich mir selbst eingestehen wollte.
»Ich habe mich eingehend mit den Familienverhältnissen der Armstrongs
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