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0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod

0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod

Titel: 0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auf dünnen Seilen tanzt der Tod (1 of 2)
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Bergen, kam die temperamentvolle Assistentin des Messerwerfers, Lido Marchese, das Mädchen mit den pechschwarzen Glutaugen.
    Im Gang zwischen den Gittern der Raubtierwagen hockte zur gleichen Zeit Tino Mitropolus, US-Bürger von Geburt, aber Sohn eingewanderter Griechen. Er rauchte eine Zigarette und klopfte ab und zu lässig mit der kurzen Peitsche gegen die Schäfte der braunen, auf Hochglanz polierten Stiefel. Um seinen schmalen Mund lang ein verträumter Zug. Jeder wusste, dass der Dompteur ein oder gar beide Augen auf die Tochter des Direktors geworfen hatte.
    Aber jeder wusste auch, dass Eve Johnson den unkomplizierten, ewig unrasierten Earthy White bevorzugte, den alle Welt nur »Tecman«, nannte, eine Abkürzung seines Titels »Technical Manager«, worunter man sich Platzmeister, Technischer Direktor, Zeltmeister und einiges andere vorzustellen hatte.
    Der Dompteur war nicht der Einzige, der rasch noch eine Zigarette rauchte. Auch Nscho-Tete, die Hellseherin, die keifende, alte Hexe von irgendeinem mexikanischen Indianerstamm, hockte in ihrem Wohnwagen zwischen den ausgestopften Bälgen von Ratten, Vögeln und tausenderlei Getier und zog gierig an der langen Zigarettenspitze. Ihre krallenartigen Finger zuckten in unaufhörlichem Rhythmus. Der zahnlose Mund brabbelte unverständliche Laute vor sich hin. Sie sprach immer nur mit sich selbst. Außer in den Vorstellungen, wo sie in rätselhafter Kenntnis ganze Lebensläufe von Besuchern erzählte und Prophezeiungen äußerte, hatte niemand die Alte mit einem anderen Menschen sprechen sehen. Allenfalls vielleicht mit ihren ausgestopften Tieren.
    Im Gegensatz zu der schweigsamen Indianerin, schwatzte »Little Joe«, der Liliputaner, unaufhörlich. Er teilte den Wohnwagen mit »Beppo«, dem Clown. Little Joe fing morgens beim Aufwachen an zu reden und hörte erst damit auf, wenn ihn spät abends der Schlaf übermannte.
    »Und ich sage dir, Beppo«, krächzte das kleine Männchen, »es liegt was in der Luft. Die kleinen Wolken am Himmel sahen heute wie lauter Kreuze aus. Das bedeutet nichts Gutes, glaub mir, Beppo. Nscho-Tete soll heute schon den ganzen Tag nichts gegessen haben. Bitte, Beppo, lach nicht. Erinnere dich an voriges Jahr, als diese verdammte Hexe einen Tag lang nichts aß, brach am Nachmittag der zweite Mast durch wie Streichholz und begrub zwei Arbeiter. Das weißt du ja vielleicht noch.«
    Beppo - kein Mensch wusste, wie er wirklich hieß - nahm den Schminkstift und malte breite weiße Bahnen in sein altes Gesicht. Rot und Hautteint vervollständigten die uralte, seit Generationen überlieferte Maske der Clowns. Während er mit geilbten Bewegungen sein Schminken beendete, zuckte er die Schultern und brummte.
    »Joe, du siehst wieder einmal Gespenster. Ich hab’ die Wolken nicht gesehen, von denen du sprichst, aber ich bin sicher, das man sich unter ihrer Form auch was anderes vorstellen konnte. Und dass die alte Hexe nichts isst, wundert mich nicht. Wer so uralt ist wie die, der braucht nicht mehr viel zu essen. Der kann bequem eine ganze Woche lang von dem leben, was ein junger Kerl an einem Tage in sich nimmt.«
    Der Liliputaner warf sich in den Miniatursessel, der eigens für seine Größe angefertigt war. Er klatschte sich mit den runzligen Händen auf die dürren Schenkel.
    »Ihr seid alle blind«, rief er ärgerlich. »Ihr wollt nichts sehen. Vor sechs Wochen ist ausgerechnet beim Löwenwagen eine Achse gebrochen. Ein paar Tage später war auf einmal der Elefantenbulle los, obgleich der Wärter schwört, dass er ihn angekettet hätte. Vor drei Wochen brach der Flaschenzug auseinander, als sie gerade das Zelt hochziehen wollten. Ein Glück, dass es noch unten lag. Wär’s fünf Minuten später passiert, lägen zwanzig von den Leuten im Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Und vorige Woche ist Chin Tong vom Seil gestürzt, als er probierte. Er sagt, das Seil wäre aus der Verspannung gekommen. Und du setzt dich vor den Spiegel und sagst: ›Alles in Ordnung‹ Wirklich, Beppo, ich begreife dich nicht.«
    »Du bist eine alte Unke, Little Joe. Seit ich dich kenne, prophezeist du täglich zweihundertmal die fürchterlichsten Katastrophen. Und wie lange kennen wir uns schon.«
    »Sechsundzwanzig Jahre, Beppo«, sagt der Zwerg ernst. »Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Ich vergess das - nicht.«
    Beppo drehte sich um.
    »Das habe ich doch gar nicht gemeint, Little Joe. Ich wollte dich wirklich nicht daran erinnern. Ich hab’s nur gesagt, weil

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