0248 - Gatanos Galgenhand
Geräusch. Plötzlich war nichts mehr von diesem gefährlichen Galgenarm zu sehen, nur noch Staubpartikel legten einen düsteren Schleier zwischen mich und das Mädchen.
Und Gatano selbst?
Ich hatte ein wenig Zeit gehabt und konnte mich in den vergangenen Sekunden einigermaßen erholen. Mein Hals schmerzte höllisch, aber ich bekam Luft.
Auf die Knie hatte ich mich stemmen können und schaute nach vorn, wo der übrige Körper stand.
Nein, er stand nicht mehr. Gatano wankte.
Er öffnete sogar seinen Griff, und Judy Jackson rutschte unter dem Arm hindurch. Sie war frei, aber sie besaß längst nicht mehr die Kraft, sich auf den eigenen Beinen zu halten.
Judy Jackson sank zusammen.
Nach vorn kippte sie, streckte noch die Arme aus, fing den Sturz einigermaßen ab, und der Henker setzte nicht nach.
Er hatte genug mit sich selbst zu tun. Auf irgendeine Art und Weise mußten er und sein Arm in Verbindung stehen, denn die Zerstörung der Galgenhand leitete auch seinen Untergang ein.
Er taumelte. Einen Schritt nach vorn wollte er wagen, schaffte es jedoch nicht, fiel zur Seite und prallte gegen die Wand, wo er für einen Moment Halt fand, stieß sich ab und wankte über die Gangbreite auf die andere Mauer zu.
Hier klatschte er gegen.
Ich war näher gegangen und sah Judy Jackson aus der Gefahrenzone kriechen.
Die junge Frau war gerettet.
Der Henker kämpfte noch. Als ich mein Kreuz aufhob, stieß er sich soeben wieder ab, drehte sich, und ich konnte in sein Gesicht schauen, das diesen Ausdruck überhaupt nicht mehr verdiente.
Der Henker wurde zu dem, was er eigentlich längst hätte sein sollen. Zu Staub und Knochen.
Sie fielen ihm aus dem Gesicht. Ich hörte ihr helles Aufschlagen, dem folgte der Staub, vermischt mit Teilen seiner Augen.
Ich ging aus dem Weg, als die Reste nach vorn kippten, aufprallten und durch den Druck auseinanderflogen.
Gatano, die Galgenhand, war nicht mehr.
Mit schweren Schritten betrat ich den Keller und schaute dort nach. Ich schüttelte den Kopf, als ich im Licht meiner kleinen Bleistiftleuchte erkannte, wie sehr das Mädchen geschuftet hatte. Innerhalb einer kurzen Zeit hatte sie es mit einer Hacke und einer Schaufel tatsächlich verstanden, das alte Grab auszuheben.
Eine unwahrscheinliche Leistung.
Ich hörte Judy weinen und verließ den Kellerraum wieder.
Der Musical-Star hockte auf dem Boden. Den Kopf hielt das Mädchen gesenkt, in seinem Gesicht waren die nassen Spuren der Tränen zu sehen, die Lippen zitterten, und in den Augen glänzte es.
Ich bückte mich, berührte sie an der Schulter. Wie ein verängstigtes Reh rutschte sie zurück. Erst als sie mich erkannte, atmete sie auf und ließ sich von mir in die Höhe ziehen.
»Kommen Sie, wir haben hier nichts mehr zu suchen«, sagte ich, denn ich wollte den Keller so schnell wie möglich verlassen.
Judy mußte von mir gestützt werden. Als wir uns der Treppe näherten, hörten wir Stimmen. Schon wurde die Tür aufgestoßen, ich sah einen Mann, daneben Tanith und hinter den beiden standen mehrere Männer, die Revolver in den Händen hielten, wie auch der erste.
»Lassen Sie die Kanone stecken, Lieutenant Melvin! Es ist vorbei.«
Er kam trotzdem, drängte mich zur Seite und schaute in den Gang, während ich Tanith beruhigend zunickte.
»Da haben Sie sich ja wieder was geleistet, Sinclair!« brüllte er. »Mein lieber Mann.«
»Wieso wieder?«
»Ich habe inzwischen erfahren, wer Sie sind.«
»Gratuliere.«
Er winkte ab. »Warum haben Sie das nicht vorher gesagt?«
»Weil ich nicht dienstlich hier gewesen bin. Da oben liegt übrigens noch ein Toter.«
»Ich weiß. Diese Hellseherin hat ihn mir gezeigt.« Er lachte laut. »Bin gespannt, welche Erklärungen Sie für den Fall haben.«
»Ich wüßte schon eine.«
»Ach und?«
»Lieutenant Melvin stellt den Killer aus dem Jenseits. Das wäre doch was — oder?«
»Meinen Sie wirklich, ich…«
»Klar, Meister. Ich verschwinde hier. Rufen Sie in einer halben Stunde die Reporter und kassieren Sie den Ruhm. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht scharf darauf.«
»Wenn das so ist…«
Lachend stieg ich die Treppe hoch und nahm Judy Jackson mit.
***
Zwei Tage später war alles geklärt, und ich konnte New York verlassen, nachdem ich intensive Gespräche mit hohen Polizeioffizieren geführt hatte. Auch Tanith war dabei.
Ob die Männer uns glaubten, wußten wir nicht. Auf jeden Fall konnten sie aufatmen. Ein unseliges Erbe war gelöscht worden. In Greenwich Village ging
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