0249 - Mein Grab in der Teufelsschlucht
vorstellen, wie es jetzt in seinem Innern aussah.
Wir rollten bis zur Einmündung der Hauptstraße und mußten rechts ab. Diesen Weg kannte ich vom Seelenburg-Fall her. Auch der Weg nach Tiefencastel hinein war mir nicht fremd. Ich kam auch mit dem Schneebelag auf der Straße zurecht. Er war wie eine feste weiße Schicht. Man konnte sich kaum vorstellen, daß sie einmal wegtauen würde.
Nachdem ich auch die Kehren kurz vor Tiefencastel genommen hatte, verschwand der Schnee. Hier unten war es nur kalt. Wir sahen auch Nebel. Die kahlen Äste der Bäume zeigten eine gefrorene Schicht. Sie glänzten, als wären sie mit Möbelpolitur eingerieben worden.
Bill dirigierte mich. Bevor wir Thusis erreichten, mußten wir drei Tunnel durchqueren. Ab dann verlief die Fahrt in die Viamala hinein.
Dieses gewaltige Fels- und Gebirgsmassiv kannte ich bisher nur aus Erzählungen. Zudem hatte John Knittel seinen berühmten Roman Viamala darüber geschrieben.
Die Straße war eng. Ich mußte vorsichtig fahren. Manchmal glitzerte auch Eis. Dann hielten wir jedesmal den Atem an, als wir darüber hinwegfuhren.
Längst hatte ich die Scheinwerfer eingeschaltet. In diesen Monaten wurde es sehr früh dunkel. Die Berge lagen bereits im Schatten, und in der Schlucht war es sicherlich fast nacht.
Bill, der neben mir saß, beugte sich nach vorn und starrte konzentriert durch die Scheibe.
»Was hast du?« fragte ich.
»Noch eine Tunneldurchfahrt, dann haben wir es geschafft«, erwiderte er.
»War das der Tunnel, der in Flammen stand?«
»Nein, der nächste.«
Wir tauchten in das graue Loch ein. Ein Fahrzeug kam uns entgegen. Die Straße war zwar eng, trotzdem noch breit genug, daß zwei Wagen einander passieren konnten.
Alles lief glatt.
»Halte vor dem Kiosk«, sagte Bill.
Ich lenkte den Wagen auf einen kleinen Parkplatz, stoppte und öffnete die Tür.
Wir stiegen alle drei aus, wobei Suko und ich einen ersten Eindruck von der Gegend gewannen.
Sie war schon unheimlich.
Vielleicht wirkte sie bei Tageslicht nicht so, aber in dieser seltsam hellen Düsternis schienen in der Tiefe der Schlucht selbst die Schatten zu leben.
Nichts lag ruhig. Irgend etwas vibrierte immer, bewegte sich, und ich hörte auch das Rauschen.
Es drang von mehreren Wasserfällen an unsere Ohren. Die Massen stürzten aus den Löchern in den Felswänden nach unten.
Wie eine nasse, gefährliche Rutschbahn, bevor sie zwischen den Felsblöcken aufschlugen und sich in kleinen Strudeln verliefen.
Bill faßte nach meinem Arm. »Dort ist der Eingang«, erklärte er und deutete auf das Drehgitter.
Suko war mitgekommen. Er trug auch die beiden Taschenlampen, und löste jetzt eine, die er mir überreichte.
Ich schaute in die Tiefe und sah die schmale Treppe. Die Stufen verschwanden sehr bald in der Düsternis und wirkten so, als wären sie von einem Maul verschluckt worden.
Ich runzelte die Stirn. »Sieht ziemlich gefährlich aus, dieser Weg nach unten.«
»Das kannst du wohl sagen«, Bill nickte heftig. »Das sieht nicht nur gefährlich aus, das ist auch gefährlich. Da mußt du achtgeben, daß du dir nicht den Hals brichst.«
Ich schaute Suko an. »Bist du bereit?«
»Immer.«
Bill reichte uns die Hand. Sein Gesicht sah blaß aus. Man sah ihm an, daß er sich Sorgen machte. »Paßt nur auf, ihr beiden«, flüsterte er. »Da kann euch die Hölle erwarten.«
»Wikka reicht uns schon«, gab ich zurück.
Suko kletterte als erster über die Absperrung. Ich folgte ihm, schaute noch zurück und sah Bill wie ein Denkmal am Rand der Straße stehen.
***
Auf dem Gesicht der Oberhexe schien die Sonne aufzugehen. Doch es war keine freundliche Sonne, sondern eine düstere, gefährliche.
Ihre Züge veränderten sich, in den Augen stahl sich ein unverhohlener Triumph. »Sie sind da!«
»John Sinclair?« Jane Collins fuhr herum.
»Ja. Und der Chinese auch.«
»Woher weißt du es? Hast du sie gesehen?«
Wikka schüttelte den Kopf, nahm ein Holzstück auf und schleuderte es in das Feuer, dessen Flammen sofort höher schlugen und die Höhle gespenstisch ausleuchteten, wobei sie auch noch das Gesicht der Oberhexe streichelten und ihm einen düsteren Ausdruck gaben. »Ich habe sie nicht gesehen, aber ich spüre sie.«
»Das kannst du?«
»Ja«, lächelte Wikka. »Ich kann es. Wenn deine Fähigkeiten weit genug entwickelt sind, wirst du es auch schaffen, meine Liebe. Aber jetzt laß uns keine Zeit mehr verlieren. John Sinclair befindet sich auf dem Weg, und wir wollen ihn
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