025 - Die toten Augen von London
lange Geschichte, daß der Mann, den er erschossen habe, ihm eine große Gemeinheit zugefügt hätte. Schließlich steckte er mir ungefähr sechzehntausend Francs in die Hände, und ich ließ ihn seiner Wege gehen - man ist ja auch nicht völlig gefühllos!« Fred grinste. »Gut, weiter - als sich nirgends ein Gendarm zeigte, überquerte ich den Platz, um mir den Erschossenen aus der Nähe anzusehen, obwohl ich mir bewußt war, was für ein Risiko ich einging, wenn ich bei einer halben oder ganzen Leiche angetroffen würde. Man behauptete später, der Schuß hätte ihn sofort getötet, was aber nicht stimmt. Der arme Teufel lebte noch, als ich hinkam und mich zu ihm niederbückte, um zu sehen, ob ich noch etwas für ihn tun könne. Ich fragte ihn, wer auf ihn geschossen habe, und tatsächlich war er noch imstande, den Namen anzugeben.« Fred machte eine wirkungsvolle Pause. »David Judd!«
»David Judd?« Larry zog erstaunt die Augenbrauen hoch »Ist er mit unserem Doktor Judd verwandt?«
»Sein Bruder«, erklärte Fred. »Den Doktor habe ich durch diese Geschichte dann kennen gelernt. Ich verschwieg ihm, daß der arme Teufel in Montpellier mir den Namen verraten hatte, und behauptete, ich hätte das Gesicht seines Bruders David erkannt. Nun gut, an jenem Morgen auf dem Platz, in Montpellier versuchte ich, aus dem Verwundeten herauszubekommen, warum auf ihn geschossen worden war, als er unter meinen Händen starb. Wie gesagt, ich wollte nicht bei einem Ermordeten überrascht werden; zwar hatte ich glücklicherweise keinen Revolver bei mir und konnte auch nachweisen, wo ich gewesen war. Aus einer Nebenstraße hörte ich den schweren Schritt eines Polizisten und machte, daß ich so schnell als möglich fortkam; doch der Kerl hatte mich schon gesehen, ich mußte vor dem Untersuchungsrichter erscheinen und nachweisen, daß mich der Mord gar nichts anging und daß ich mich auf der Suche nach einem Arzt befand, als ich gesehen wurde. Ich hatte nämlich wirklich den vernünftigen Einfall gehabt, nach einem Arzt zu laufen.« Er schwieg eine ganze Weile, um sich für den heikleren Teil seiner Erzählung zu sammeln. »Als ich nach London zurückkehrte, hielt ich es für meine Pflicht, Mr. David Judd aufzusuchen. Er hatte damals ein Privatbüro bei der Greenwich-Versicherungsgesellschaft. Ab er ich traf ihn dort nicht an und sprach mit seinem Bruder.«
»Sie wollten natürlich herausbekommen, wieviel er zahlen würde, wenn Sie Ihren Mund hielten?«
»Stimmt ganz genau, Mr. Holt. Unheimlich, was für ein Einfühlungsvermögen Sie haben! Er war furchtbar aufgeregt, Doktor Judd meine ich, und machte geltend, er müsse erst mit seinem Bruder sprechen, sobald dieser von einer Reise zurückkäme. Doch dann passierte etwas, das anfänglich so aussah, als würde es alle meine schönen Aussichten ruinieren. David Judd starb. Auf seiner Rückreise von Schottland erkältete er sich und starb innerhalb weniger Stunden. Ich bin bei seinem Begräbnis gewesen - als Leidtragender. Ich wette, keiner hat mehr Kummer gehabt als ich. Trotzdem muß ich sagen, daß Doktor Judd sich mir gegenüber als Gentleman gezeigt hat. Nach dem Begräbnis ließ er mich zu sich kommen und erklärte, daß er das Andenken seines Bruders von jeder schlechten Nachrede freihalten wolle er bot mir eine regelmäßige jährliche Summe an, falls ich den Mund halten würde.«
»Der Mann, der erschossen wurde, war doch ein Büroangestellter?«
»Und zwar ein Angestellter der Greenwich-Versicherungsgesellschaft, der versucht hatte, David Judd zu erpressen.«
Larry stieß einen leisen Pfiff aus.
»Greenwich-Versicherung - Erpressungen -«, wiederholte er. »Was hatte David denn auf dem Kerbholz?«
»Das weiß ich nicht, Mr. Holt. Wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen sofort sagen. Aber es muß eine ziemlich faule Sache gewesen sein. Doktor Judd behauptete, daß jener Angestellte eine Menge Geld unterschlagen hätte, und da muß auch was Wahres dran gewesen sein, denn ich erinnere mich, daß er bei Floquart viel und hoch gespielt hat. - Also, um die Geschichte kurz zu machen, ich habe dann vier Jahre lang ein gutes Einkommen von Doktor Judd bezogen. Ich will da gar nichts beschönigen und mich nicht in ein besseres Licht stellen. Das würde Sie ja auch nicht interessieren. Vor ein paar Tagen traf ich den Doktor bei einer Hochzeit. Er war eingeladen, ich natürlich nicht, aber das ist ja das wenigste - jedenfalls ging ich hin. Bei der Gelegenheit lud er mich ein,
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