025 - Die toten Augen von London
Unerwartet bogen sie in eine Seitengasse ein. Ich riskierte es, meinen Chauffeur zu bezahlen und ihnen zu Fuß zu folgen, weil ich dieses Viertel sehr gut kenne, und ich brauchte auch keine zehn Minuten zu suchen, bis ich den Wagen vor einer Toreinfahrt stehen sah. Kurz vor mir traf noch ein zweites Auto ein, mit dem der Doktor gekommen sein mußte.«
»Doktor Judd? War der auch da?«
Fred wollte nicken, bedauerte aber im gleichen Augenblick, seinen schmerzenden Kopf überhaupt bewegt zu haben.
»Wenn ich meinen dämlichen Schädel nicht still halte, dann dusele ich nochmals hinüber. - Ja, der Doktor war auch da. Ich stand ganz in der Nahe und sah diesen blinden Jake, den Doktor und noch einen, den ich nicht kannte, der eine Tasche in der Hand hielt und schlechter Laune zu sein schien. ›Ich protestiere, zu so später Stunde auf solche Weise geholt zu werden‹, sagte er. Der Doktor entgegnete leise etwas, das ich nicht verstehen konnte. Warum haben Sie nicht einen andern Arzt geholt? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie mich gezwungen haben, hierherzukommen, und ich komme nur unter Protest. Wo ist die Frau?‹ Als der blinde Jake antwortete: ›Im Kesselhaus!‹ und lachte fuhr ihn Doktor Judd mit einem Fluch an und sagte, er sollte das Maul halten. Alle drei verschwanden dann durch das Tor des Grundstücks, während der eine Wagen wendete, was aber auf der schmalen Straße nicht auf Anhieb gelang. Es war ein frisch gestrichener Lieferwagen, und auf einer Seitentür konnte ich unter der neuen Farbe das Wort ›Wäscherei‹ erkennen.«
»Haben Sie sich den Namen der Straße gemerkt?« fragte Larry.
»Reville Street«, erwiderte Fred.
»Das ist ja die Parallel straße zur Lissom Lane. Na - weiter, Fred!«
»Ich mußte schleunigst verduften, weil man mich sonst gesehen hätte. Ich ging also um den Häuserblock herum und tauchte gerade wieder auf, als sie aus dem Tor herauskamen. Doch waren es jetzt nur noch zwei Personen; das dicke Mistvieh war verschwunden. Was sie sich erzählten, konnte ich nicht hören, endlich rief Doktor Judd: ›Gute Nacht!‹, und der Wagen fuhr mit ihm davon. Der andere schaute ihm nach. Mir blieb nichts anderes übrig, als an ihm vorbeizuschlendern, als ob ich die Straße dahergekommen wäre. Wenn es eine schlechte Angewohnheit gibt, dann ist es die, im Wachen oder Schlafen Selbstgespräche zu führen. Es gibt Leute, die können nichts dagegen machen. Ich hatte einen guten Freund m Barcelona - doch das gehört nicht hierher, Mr. Holt. Also, der Kerl, der da dem Wagen nachschaute, gehörte zu der Sorte. So eine Art Grübler. Und wie ich gerade an ihm vorüberkam - er stand bewegungslos, die Hände auf dem Rücken, und sah dem verschwindenden Schlußlicht des Autos nach -, hörte ich ihn etwas murmeln. Es waren, ich erinnere mich genau, nur zwei Worte: ›Clarissas Amme ...‹. Er hat es gleich zweimal gesagt. Ich ging meiner Wege und dachte nicht im Traum daran, daß ich ihnen verdächtig vorgekommen sein könnte, vielmehr nahm ich mir vor, sofort Sie aufzusuchen Mr. Holt, und Ihnen die Geschichte zu erzählen. Ich war nur noch ein paar hundert Meter von Ihrem Haus entfernt, da hatte ich so ein unangenehmes Gefühl, als ob man mir folgte. Sehen konnte ich niemand, trotzdem wurde ich die ekelhafte Empfindung nicht los, die man hat, wenn einem die Polente auf den Fersen ist, und man kann sie nicht mehr abschütteln. Ich hatte Ihre Straße erreicht, suchte das Haus, aber ich war schon zu weit gegangen und kehrte wieder um. Vermutlich sind die Kerle, die mir folgten, ins Haus geschlichen und haben oben auf mich gewartet. Ich erinnere mich noch, daß ich vor Ihrer Wohnungstür die Hand zum Klingelknopf hob - dann weiß ich nichts mehr.«
Diana hatte eifrig mitgeschrieben und klappte nun ihren Block zu.
»Ich glaube, das ist so ziemlich alles«, schloß Fred mit schwacher Stimme. »Ich möchte gern etwas trinken.«
27
Zehn Minuten später sausten zwei Autos mit Polizisten in Zivil nach dem Westen, und die Bewohner der kleinen Reville Street wurden Zeugen dieser neuerlichen Razzia.
»Was ist das für eine Mauer?« fragte Larry.
»Die Mauer der eigentlichen Wäscherei«, antwortete Sergeant Harvey. »Ich habe sie schon abgesucht, doch nichts gefunden.«
»Haben Sie das Kesselhaus gesehen?«
»Jawohl, Sir, es ist ein ganz gewöhnlicher Kellerraum mit einem großen Dampfkessel.«
»Lassen Sie das Tor öffnen«, befahl Harry. »Sie haben doch noch Leute in der Lissom Lane, die den
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