025 - Die toten Augen von London
hat. Aber Diana, ein ›oben‹ gab es ja gar nicht, Sie waren doch schon in der obersten Etage. Das Haus ist ein Stockwerk niedriger als Todds Heim.«
Zu Larrys Schrecken fing sie leise zu weinen an.
»Der Gedanke an sie läßt mir keine Ruhe. Sie werden sie festhalten, sie können sie ja gar nicht freilassen!«
»Wollen Sie damit sagen, daß die Frau Clarissa Stuart ist?«
»Clarissa Stuart? Nein ...«
»Wer kann es sonst sein? Wer, denken Sie, ist sie?«
»Ich denke es nicht - ich weiß es sicher.« Sie hob das tränennasse Gesicht. »Die Frau ist Emma. Die Aufwartefrau Emma aus der Pension.«
Larry sprang auf.
»Die Aufwartefrau! Sie haben recht!«
Wieder hörte man als einziges Geräusch im Zimmer das leise Ticken der Uhr.
»Ich kann den Zusammenhang jetzt erkennen«, begann sie wieder. »Einen einzigen Menschen konnte ich bisher nicht unterbringen.«
»Und wer ist das?«
»Flimmer-Fred. Er ist zufällig in die Sache mit hineingezogen worden. Aber die anderen? Und Dearborn, für den Sie so viel Nachsicht haben - was John Dearborn betrifft ...« Sie lachte böse auf.
»Liebe Diana, Sie haben jetzt das Stadium erreicht, in dem man allem und jedem mißtraut.«
»Ich gab Dearborn die Hand, als wir dorthin kamen - und ich gab ihm die Hand, als wir weggingen«, sagte sie bedeutungsvoll.
»Das macht ihn aber doch noch nicht verdächtig!«
»Als ich meine Hand hinhielt, ergriff er sie. Denken Sie bitte daran, daß ich zwei Jahre Schwester in einem Blindenheim war. Als ich meine Hand hinhielt, ergriff er sie!«
»Ja, warum nicht?« fragte Larry, ohne zu begreifen.
»Weil er sie nicht sehen konnte, wenn er blind wäre. John Dearborn ist ebensowenig blind wie Sie oder ich.«
»Sagen Sie das bitte noch einmal! Sie hielten die Hand hin, und er ergriff sie?«
Wußten Sie nicht, daß man immer die Hand eines Blinden greift wenn man ihn begrüßen will, weil er ja die ausgestreckte Hand nicht sehen kann? Aber Dearborn erhob seine Hand im gleichen Augenblick, in dem ich ihm meine entgegenhielt.« Larry starrte sie fassungslos an.
»Wenn er nicht blind ist, warum ist er dann überhaupt in dem Heim? Auf jeden Fall ist er aber ein Geistlicher.«
»Es gibt keinen John Dearborn in der Liste der Geistlichen«, erklärte Diana unerschüttert. »Ich habe die ganze Liste genau durchgesehen. Sein Name findet sich auch nicht auf den Listen der Independenten, Baptisten und Wesleyaner.«
»Haben Sie auch daran gedacht, daß er von Australien gekommen sein kann?«
»Auch die australischen Listen kann man hier erhalten. Der einzige John Dearborn ist ein sehr alter Herr, der in Totooma lebt und sicher nicht mit diesem hier identisch ist. Unser Dearborn ist weder blind noch Geistlicher, und dann kommt noch ein Drittes hinzu - seine Stücke werden trotz des ständigen Mißerfolgs immer wieder angenommen. Wollen Sie sich nicht einmal über das Direktorium des Macready-Theaters informieren? Man müßte herausfinden, aus welchen Personen es sich zusammensetzt und wer das Geld für die Inszenierungen dieser Stücke bewilligt oder aufbringt. Ich kann einfach nicht vergessen, daß Mr. Stuart von diesem Theater aus verschwunden ist.«
»Ich auch nicht. Aber John Dearborn -?«
»Jetzt werde ich müde.« Diana erhob sich. »Ich habe mein Herz erleichtert. - Lassen Sie - entschuldigen Sie, daß ich solche Fragen stelle -, lassen Sie die Wäscherei beobachten?«
»Ich habe dort ständig zwei Mann auf Posten, die jeden eintreffenden oder wegfahrenden Wagen anzuhalten und sich zu vergewissern haben, wer der Fahrer ist und was der Wagen enthalt.«
»Dann kann ich mich ja beruhigt schlafen legen. Für einige Zeit noch ist Emma nicht in direkter Lebensgefahr - solange sie nicht von der Wäscherei weggebracht wird ...«
»Sie können völlig beruhigt sein«, versicherte Larry, worauf sich Diana zurückzog.
26
Der nächste Tag brachte keine neuen Entwicklungen. Ein Polizeiaufgebot hatte noch einmal das Wäschereigebäude durchsucht und tatsächlich einen Raum entdeckt, der oberhalb des Zimmers lag, in dem Diana eingeschlossen gewesen war, eine winzig kleine Kammer im Dachgeschoß, die Spuren von Benutzung zeigte, jedoch leer angetroffen wurde.
Larry machte sich jetzt Vorwürfe, daß er gestern das Nebenhaus nicht sorgfältiger durchsucht hatte. Zwei Menschen wünschte er vor allem zu finden. Erstens den Mann, dem der kleine Finger der linken Hand fehlte und der sich einen Tag vor ihm in Beverley Manor nach Mrs. Stuart erkundigt
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