025 - Die toten Augen von London
wie Lew uns erzählte, daß sein Bruder Jim, ein stattlich aussehender und geschickter Bursche, eines Tages spurlos verschwunden war? Das ist der Mann, den wir in David Judds Grab finden werden.«
»Ist Doktor Judd auch -?« Aber sie wußte ohnehin, daß diese Frage überflüssig war.
»Doktor Judd steckt bis über den Hals mit drin. Die Dearborn-Geschichte ist rasch erzählt. Er war Teilhaber Judds, irgend etwas muß im Büro vorgefallen sein - ein Verbrechen, ein Mord vielleicht, den David veranlaßte, um die Versicherungssumme zu erhalten, was weiß ich -, und ein Angestellter kam dahinter. Der Mann unterschlug daraufhin eine größere Summe, flüchtete nach Montpellier und begann von dort aus, David zu erpressen. David fuhr hinterher und erschoß ihn, wurde dabei von Flimmer-Fred überrascht, dem es auch gelang, vom Opfer gerade noch den Namen des Mörders zu erfahren. Das bedeutete für einen Mann vom Schlage Flimmer-Freds ein Lebenseinkommen.
Bei der ersten Gelegenheit reiste er nach London zurück, suchte Judd auf und teilte ihm die Bedingungen mit, unter denen er seinen Mund halten würde. Nun kamen die Brüder überein daß es das beste wäre, David pro forma sterben zu lassen. David, du erinnerst dich, war ein gutaussehender Mann mit Vollbart. Unter all ihren Bekannten und Helfershelfern aber war Lews Bruder der einzige, der in seinem Äußeren am meisten David glich, und so wurde er ohne viel Federlesens ermordet und als David Judd begraben. Bei dieser Gelegenheit bezogen die beiden noch eine bedeutende Summe aus den Rückversicherungen für Davids hohe Lebensversicherung. Den Plan mußten sie schon seit einiger Zeit erwogen haben, denn bereits einen Monat vor Davids offiziellem Tod hatte Doktor Judd den Kauf von Todds Heim abgeschlossen. Es war nichts weniger als ein wohltätiges Unternehmen, sondern im Gegenteil eine rein strategische Angelegenheit. Nach außen eine Bettlerherberge, war Todds Heim in Wirklichkeit ein Nest krimineller Blinder, das Hauptquartier der berüchtigten ›toten Augen«. Das Heim wurde also gekauft, und einen Tag nach dem ›Tode‹ Davids erschien Reverend John Dearborn auf der Bildfläche. Fest steht, daß er die kriminellen Elemente aus dem Hause verbannte und einige Änderungen in der Organisation vornahm. Natürlich tat er dies nur, um dem Heim wieder einen passablen Namen zu verschaffen, so daß er das Haus ohne Gefahr als sein eigenes Hauptquartier benutzen konnte. Als die Wäscherei Konkurs machte, kaufte Doktor Judd dieses Grundstück dazu, David führte mit seiner Bande die speziellen baulichen Veränderungen aus. Ich muß noch erwähnen, daß David Architekt ist und das Haus, in dem sein Bruder lebt, gebaut hat. Er beschäftigte dabei ausländische Arbeiter und konzipierte das gesamte Haus selbstverständlich für die ganz speziellen Zwecke, die sich die Brüder ausgeheckt hatten. Als dann auch die Wäscherei in ihren Besitz kam, kehrten die ›toten Augen‹ in ihr Quartier in der Lissom Lane zurück und wurden mehr oder weniger abgesondert in der Wäscherei einquartiert.« »Was hast du nun mit Doktor Judd im Sinn?« fragte Diana. »Ich werde ihn verhaften, und zwar am gleichen Ort, von dem aus dein Vater verschwand - in der berühmten Loge A im Macready-Theater.« »Ist er denn dort?« »Beinahe jeden Abend.« »Aber warum verhaftest du ihn nicht gleich?« »Weil das Geheimnis um Loge A noch nicht aufgeklärt ist.«
35
Am gleichen Abend um acht Uhr betrat Larry das Vestibül des Macready-Theaters.
»Doktor Judd, Sir?« wiederholte der Logenschließer. »Ja, er ist in Loge A. Erwartet er Sie?«
Sergeant Harvey wollte ihn begleiten, aber Larry verabschiedete ihn und ging schnell den Gang entlang. Vor der Loge A wartete er einen Moment, drehte den Türknopf herum und trat ein. Er blieb stehen.
Dr. Judd blickte auf die Bühne. Larry wollte ihn ansprechen, als etwas Weiches, Warmes über seinen Kopf gestülpt wurde, das sich wie ein wollig gefütterter Sack ausnahm und mit etwas Betäubendem getränkt sein mußte, das ihm den Atem nahm und einen Augenblick völlig lähmte. Er spürte, wie sich ein Strick um seinen Hals legte, riß den Revolver heraus, aber bevor er abdrücken konnte, traf ein scharfer Schlag seine Hand. Mit einem Schmerzensschrei, den die Haube über Kopf und Gesicht erstickte, ließ er die Waffe fallen. Jeder Atemzug erstickte ihn fast, er schlug wild um sich, seine Arme wurden von hinten ergriffen, man warf ihn zu Boden. Undeutlich hörte er
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