0262 - Belphégors Höllentunnel
Da hatte vielleicht noch ein Gasthaus oder eine Pension geöffnet, in der er sich verstecken konnte.
Verstecken?
Mußte er sich eigentlich verstecken? Nein, Er war sich keiner Schuld bewußt. An ein Verstecken brauchte er nicht zu denken, und doch hatte er ein schlechtes Gewissen.
Das hat jeder, wenn er verfolgt wird. Und Jean Leduc wurde verfolgt, daran gab es nichts zu rütteln. Ein dunkles Ungeheuer mit weißen Augen, so kam ihm der Wagen vor. Er hatte ihn nie im Hellen gesehen, nur immer in der Finsternis, wo seine Scheinwerfer leuchteten. Er wußte nicht, ob der Wagen schwarz, blau oder grün war, und er kannte auch die Marke nicht.
Für ihn war es der Tod!
Einen raschen Blick warf er noch in den Spiegel, und die Scheinwerfer des Verfolgers schienen auf der blanken Fläche regelrecht zu explodieren.
Leduc kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und zog den Lancia in das letzte Stück der Kurve vor dem unheimlichen Tunnel, wo schon soviel passiert war.
Eigentlich hatte er überhaupt keinen Grund, Angst zu haben. Vielleicht machte er sich auch nur verrückt, und er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken loszuwerden.
Der Tunnel!
Er sah jetzt genau das, wovor er so lange gezittert hatte. Bisher war er nur auf die Bilder in den Zeitungen fixiert gewesen, nun schaute er zum ersten Mal genau auf die Tunnelöffnung.
Ein schreckliches Loch. Unheimlich, gefräßig aufgerissen wie das Maul eines Ungeheuers, das alles verschlingen wollte.
Und der Tunnel verschlang.
Fahrzeuge, Menschen, alles.
Gab er es auch wieder her?
Jean Leduc biß die Zähne zusammen. Wie ein Halbkreis war die Tunneleinfahrt angelegt. Darüber wölbte sich der Berg, ein riesiger Koloß aus festem Gestein.
Schwarz, drohend, finster!
Kein Licht glühte vor dem Tunnel, und es brannten auch keine Lampen.
Die schaltete man nachts aus.
Dafür leuchtete etwas anderes.
Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Über dem Eingang und auf dem Gestein strahlte es glühendrot. Zuerst dachte Leduc an eine Wolke oder an ein rötliches Fluoreszieren irgendwelcher Gesteinseinschlüsse, bis er erkannte, daß sich das Leuchten zu einem Bild verdichtete und scharfe Umrisse hervortraten.
Ein Kopf war da zu sehen.
Ein Teufelskopf!
Riesengroß. Weit über die Hälfte des Gesteins einnehmend, das über der Tunnelöffnung wuchs. Er leuchtete in einer grellen Farbe und blendete den Fahrer.
Für einen Moment nur sah der Mann den höllischen Willkommensgruß, dann zischte er mit seinem Lancia in den Tunnel hinein, wobei er das Gefühl hatte, in sein eigenes Grab zu fahren…
***
Zuerst geschah nichts.
100, 200 Meter fuhr er geradeaus. Die beiden Scheinwerfer stachen in die Röhre hinein. Das helle Licht beruhigte ihn etwas, und da er es noch heller haben wollte, schaltete er das Fernlicht ein. Mit Gegenverkehr rechnete er nicht.
Die Dunkelheit des Tunnels wurde zerrissen. Bläulich schimmerte das Licht. Einige Wolken quollen träge durch die beiden etwas auseinandergefächerten Lanzen. Abgase, die sich noch zwischen den Wänden hielten. Die Innenmauern bestanden aus glattem Gestein. Man hatte Beton über die Felsen gegossen und ihn erstarren lassen.
Wieder dröhnte das Geräusch des Motors von den Wänden wider. Die Reifen summten über die glatte Fläche. Der Lancia besaß eine gute Straßenlage. Nichts warf ihn aus der Spur, und die Spannung des Fahrers legte sich allmählich.
Konnte er es schaffen?
Plötzlich wurde es in seinem Wagen hell. Der Fahrer hatte das Gefühl, mit Licht übergossen zu werden. Es füllte das Innere seines Lancias bis in den letzten Winkel aus. Er kam sich vor wie auf einem Präsentierteller, wie auf einer Insel, die ein Käfig war und von der er nicht mehr entkommen konnte.
Der Verfolger war da!
Und zwar mußte er ziemlich dicht hinter ihm sein, sonst hätten dessen Scheinwerfer das Innere des Lancia nicht mit diesem hellen Licht ausfüllen können.
Die Straße durch den Tunnel führte nicht stur geradeaus, sie machte einen Bogen. Man mußte vorsichtig fahren, durfte auch nicht zu hoch mit der Geschwindigkeit gehen, aber in diesem Fall wollte der Mann eine Ausnahme machen. Den verfluchten Tunnel mußte er so rasch wie möglich hinter sich lassen.
Die Angst steigerte sich.
Geduckt hockte er hinter dem Lenkrad. Sein Mund stand jetzt offen. Er war sich darüber im klaren, daß ihn seine Verfolger ausgezeichnet erkennen konnten. Sein Körper mußte sich innerhalb des Fahrzeugs wie ein Scherenschnitt abheben.
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