0263 - Wenn die Totengeister schreien
»Bringen Sie ihn ins Haus, bitte«, sagte er brüchig. »Thomas, Thomas…«
Mit gesenktem Kopf schritt er davon. Pickford eilte ihm nach. »Sir… bitte…«
Sir Glenn zuckte mit den Schultern. »Was denn noch?« fragte er.
»Bitte, Sir, machen Sie es sich selbst nicht zu schwer. Versuchen Sie einfach eine Weile auszuspannen und an gar nichts zu denken.«
Der Earl lachte bitter auf. »An gar nichts denken? Mister Pickford, Joshcan und Thomas sind tot, der Fluch der schreienden Toten existiert nach wie vor, und jeder von uns kann der nächste sein! Jeder, verstehen Sie?«
»Um den Fluch, Sir, kümmert sich Professor Zamorra«, sagte Pickford ruhig.
»Und wo ist der Mann?« fauchte Sir Glenn. Unwillig schüttelte er die Hand des Butlers von seiner Schulter und entfernte sich.
Ja, wo ist Zamorra, fragte sich Pickford. Und er fragte sich, wo Nicole Duval war, die mit Thomas zusammen abgefahren war…
***
»Ja, schrei nur«, krächzte die Stimme aus der Dunkelheit. »Zamorra… er kann dir nicht helfen. Rufe ihn ruhig! Um so rascher verstrickt er sich in dem Netz.«
Gryf spie aus.
»Er weiß doch längst, mit wem er es zu tun hat«, sagte er. »Fühle dich nicht stärker, als du in Wirklichkeit bist.«
»So? Meinst du das?« fragte die Stimme.
Ein schwacher Lichtpunkt entstand. Eine handtellergroße silbrige Scheibe, die hell flimmerte. Merlins Stern…
Das Leuchten verstärkte sich. Die Umrisse einer Gestalt schälten sich aus der Schwärze. Ein untersetzter, fettleibig wirkender Mann, dessen Gesicht krötenhaft abstoßend wirkte. Der Mann trug schwarze Kleidung. Gesicht und Amulett waren helle Flecke im verwischenden Dunkel.
Das war Leonardo deMontagne, der Höllensohn, der sein zweites Leben auskostete, im Dienste Satans…
Sein erstes Leben war vor neunhundert Jahren zu Ende gegangen. Doch die Hölle wollte ihn nicht länger haben. Jetzt trieb er sein Unwesen wieder auf der Erde. Sein Auftrag, den er zu erfüllen trachtete, lautete: Vernichte Zamorra.
Dicht vor Gryf blieb er stehen.
»Du warst es, der mich anpeilte, nicht wahr? Du und dieser verdammte Wolf, der mich wochenlang zum Narren hielt! Gib es ruhig zu. Ich erkenne dein Gedankenmuster unter Tausenden wieder.«
»Das hat dir wohl ganz schön das Konzept versaut, eh?« grinste Gryf spöttisch. »Ja, man sollte immer auf seine Abschirmungen achten, es könnte sonst fatal werden… Auf die Dauer sind wir zuviele für dich, Leonardo. Wir machen dich fertig.«
Der Montagne lachte spöttisch. »Glaubst du, ihr hättet mich finden können, wenn ich es nicht gewollt hätte? Ich habe euch gelockt… es war kein Versehen. Ihr werdet sterben, einer nach dem anderen.«
Gryf zuckte mit den Schultern. »Das haben mir schon viele versprochen. Ich lebe immer noch.«
»Ja«, krächzte Leonardo. »Aber achttausend Jahre sind genug. Du warst es doch, der mir im Château das Zauberpulver überwarf, nicht wahr? Dafür werde ich mir für dich eine besondere Todesart ausdenken. Und die anderen werden dich sterben sehen…«
Er wandte sich ab und schritt in die Dunkelheit davon. Seine Schritte verhallten. Gryf blieb allein zurück. Er war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Seine Arme und Beine waren mit Eisenringen an der Wand befestigt. Unter anderen Umständen hätte er sich mit dem zeitlosen Sprung entfernen können. Aber dazu mußte er auch eine Bewegung machen, sonst klappte es nicht.
Leonardo war nicht dumm. Er hatte vorgesorgt…
Gryf konnte nicht entkommen.
Er konnte nur hoffen, daß die anderen schlauer waren als er. Vor allem Zamorra, dem es gelungen war, den Rückweg zu finden, bevor sie über ihn herfielen…
***
Nicole wurde in einen kahlen Raum gestoßen. Grelles Licht überflutete und blendete sie. Sie brauchte einige Minuten, um sich nach dem Halbdunkel daran zu gewöhnen. Dann sah sie, daß die Lichtflut aus der Decke ihres Gefängnisses kam. Es war eine einzige strahlende Fläche.
Sie fragte sich, was das bedeutete.
Der Raum besaß Metallwände. Sie waren weiß und reflektierten das Licht auf fast unerträgliche Weise. Zu ihrer Überraschung stellte Nicole fest, daß es erstaunlich warm war. Draußen, im Freien, hatte sie gefroren, und in der Höhle mit den schrumpfenden Wänden war es auch nicht gerade warm gewesen. Aber hier herrschten angenehme Temperaturen.
Da stimmte etwas nicht. Es paßte nicht zu Leonardo deMontagne, daß er seinen Gefangenen Annehmlichkeiten verschaffte. Er mußte mit dieser Zimmerwärme etwas Übles
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