0263 - Wenn die Totengeister schreien
bezwecken. Die Französin fragte sich, was.
Sie tastete die Wände und den Boden ab. Aber es klang nirgends nach einem Hohlraum oder nach einem Durchschlupf. Also mußte man sie durch die feste Metallwand geworfen haben.
Magie-Welt…
Der Begriff tauchte plötzlich in ihr auf. Hier unten war Leonardos Reich. Er schuf die Grenzen mit seiner schwarzen Magie, mit der Kraft, die das Amulett ihm verlieh. Und er konnte damit alles manipulieren, alles verändern. Er konnte Dinge schaffen, die unter anderen Umständen unmöglich wären.
So, wie diesen Raum.
Nicole riß sich die Jacke vom Leib. Es wurde ihr ein wenig zu warm darin. Sie sah nach oben und stutzte. Täuschte sie sich, oder hatte sich die gleißende Licht-Decke um ein paar Zentimeter gesenkt?
Sie begann zu beobachten.
Tatsächlich! Das Ding senkte sich und erinnerte sie damit an die grünlich glühenden Wände, die sich zum Mittelpunkt der Höhle zusammenzogen, den Raum schrumpfen ließen.
Dieser hier, ihre Zelle, schrumpfte auch.
Und heizte sich dabei mehr und mehr auf!
Das grelle Licht strahlte Hitze aus, und diese Hitze konnte nicht entkommen, sondern wurde von den weißen Wänden zurückgeworfen, staute sich auf. Nicole brach der Schweiß aus, schneller als eigentlich gedacht, weil ihr klar wurde, was das bedeutete.
Die Decke des weißen Gefängnisses senkte sich nicht, um sie zu zerdrücken, sondern um die Hitze zu verstärken! Hitze auf kleinstem Raum!
Sie kauerte sich auf den warmen, fast schon heißen Boden. Erste Durstgefühle kamen.
Leonardo wollte sie ausdörren, vertrocknen lassen.
Lange bevor die sich senkende Decke sie erreichte, würde sie tot sein. Verdorrt. Verdurstet. Ausgetrocknet. Eine papierdürre, schrumpelige Mumie.
Wieder ein paar Zentimeter weniger, wieder ein paar Wärmegrade mehr…
Sie konnte sich ausrechnen, wie lange sie noch zu leben hatte. Und das war das Schlimmste daran…
***
Zamorra tauchte wieder in der verwüsteten Familiengruft auf. Licht kam nur durch die offene Tür herein. Arthur war mit der Lampe verschwunden.
Zamorra starrte die Stelle an, die das Tor in jene andere Welt war. Irgendwie war er hinüber gekommen und irgendwie wieder zurück, aber das mußte alles wiederholbar sein.
Er dachte an das riesige Gesicht, das er gesehen hatte.
Leonardo deMontagne! Er war es wirklich!
Und die Verbindung war eindeutig. Der Montagne steckte hinter dem Leichenfluch. Dieses Tor in sein Reich war der Beweis. Und er mußte sich in der äußerst kurzen Zeit da unten ziemlich gut eingerichtet haben.
Mit Magie - war eben alles möglich…
Zamorra trat ins Freie. Er erkannte, daß er die Kyll-Familie nur retten konnte, wenn er die Wurzel des Übels anpackte. Den Katalysator, den Auslöser, und der hieß Leonardo deMontagne!
Er mußte also wieder zurück. Nicht nur, um Gryf zu befreien, sondern auch, um Leonardo direkt anzugreifen. Aber das konnte er nicht unvorbereitet tun. Er mußte sich absichern. Er wollte nicht noch einmal fliehen müssen.
Da sah er den verformten Camaro. Er ahnte Unheil. Mit weiten Sprüngen hetzte er über den leeren Hof und ins Haus. Den Weg zum Earl kannte er inzwischen, aber in dem großen Zimmer erwarteten ihn nur Lady Mabel und der Butler. Die Lady sog heftig und nervös an einer jettschwarzen Zigarre. Sie war blaß.
»Glenn hat sich zurückgezogen. Er will in Ruhe gelassen werden.«
»Sind meine Assistentin und Ihr Sohn schon wieder zurück?« fragte er ahnungslos.
Er hatte in eine offene Wunde gegriffen. Mabel sprang auf und zum Fenster. »Da!« schrie sie. »Sehen Sie den Wagen? Thomas ist tot! Tot! Tot! Mister Zamorra, tun Sie endlich etwas! Zwei Tote sind schon zu viel! Es waren meine Kinder! Ich will nicht, daß noch jemand stirbt!«
Sie schrie ihn an, voller Verzweiflung.
Zamorra erstarrte. Thomas verunglückt? Er mochte den Jungen zwar nicht, aber den Tod hatte er ihm auf keinen Fall gewünscht. »Und… meine Assistentin?«
Lady Mabel schwieg. Sie zerdrückte die Zigarre in ihrer Hand, ohne es zu bemerken. An ihrer Stelle antwortete der Butler. »Verschwunden, Sir. Spurlos verschwunden.«
Verschwunden, echote es in Zamorra. Verschwunden! Wie Gryf? War Nicole eine Gefangene des Montagne?
Er räusperte sich. »Habe ich immer noch alle Handlungsvollmachten?« fragte er.
Mabel nickte stumm. »Tun Sie, was Sie können, aber tun Sie etwas! Egal, was es ist!«
Zamorra nickte. »Ich werde versuchen, das Tor zu schließen, durch das das Böse eindringt«, sagte er
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