027 - Das Gesicht im Dunkel
sondern sandte statt dessen eine Erlaubnis zur Einsicht in sein Bankkonto. Es war das einfachste Konto der Welt: 1500 Pfund jährlich bar eingezahlt und 1500 Pfund im Jahr ausbezahlt. Keine Geschäftsquittungen. Nichts weiter als Abgaben, Grundsteuer und größere Summen für laufende Ausgaben.«
»Und Besuch kommt nie ins Haus?«
»Nur zweimal im Monat, gewöhnlich an einem Sonnabend. Wie es scheint, ist es jedesmal ein anderer Mann, der immer erst nach Dunkelwerden kommt und nie länger als eine halbe Stunde bleibt. Einmal war es ein Neger, und einer meiner Leute machte sich an ihn heran, konnte aber überhaupt nichts aus ihm herausbringen.«
»Malpas muß schärfer beobachtet werden«, befahl Dick, und der Inspektor machte eine Notiz. »Nehmen Sie einen von diesen Besuchern unter irgendeinem Vorwand fest und durchsuchen Sie ihn. Vielleicht stellt es sich dabei heraus, daß es sich um Bettler handelt - oder auch nicht!«
Audrey hatte eine interessante Entdeckung gemacht. Es gab ein rätselhaftes Etwas namens ›Zeugnis‹, das zuweilen vornehmer als ›Referenz‹ bezeichnet wurde. Ohne ein solches war es unmöglich, irgendeine Anstellung zu erhalten. Ihr kleiner Geldvorrat schwand dahin, und am ersten Weihnachtstag bestand ihr Frühstück nur aus einer trockenen Brotscheibe und kaltem Wasser.
Am Dienstag erhielt sie zu ihrer Überraschung einen Brief, der nur aus zwei mit Bleistift geschriebenen Zeilen bestand:
Kommen Sie heute Nachmittag um 5 Uhr. Ich habe Arbeit für Sie.
Malpas
Sie starrte mit gerunzelter Stirn auf den Zettel. Wer war Malpas, und wie hatte er von ihrem Dasein erfahren?
Indessen - Not kennt kein Gebot, und so stand sie denn zu der angegebenen Zeit regendurchnäßt vor dem Haus und klopfte leise mit den Fingerknöcheln an, als sie keine Klingel fand.
»Wer ist da?«
Die Stimme schien aus dem Türpfeiler zu kommen.
»Fräulein Bedford.«
Nach einer kurzen Pause öffnete die Tür sich langsam.
»Kommen Sie herauf - das Zimmer im ersten Stock«, sagte die Stimme.
Die Haustür schloß sich hinter ihr. Von unerklärlichem Grauen gepackt, wollte sie entfliehen und suchte nach dem Türgriff - aber es war keiner vorhanden, und so bezwang sie ihre Angst und stieg die Treppe empor. Im ersten Stock gewahrte sie nur eine einzige Tür und klopfte dort nach kurzem Zaudern an.
»Herein!« Diesmal kam die Stimme von oben. In der Türnische befand sich über ihrem Kopf ein kleines Gitter.
Einen Augenblick brauchte sie, um Mut zu sammeln, dann trat sie durch die nur angelehnte Tür ein.
Die Wände des sehr großen Raums waren so dicht mit schwarzem Samt verhängt, daß man nicht sehen konnte, wo die Fenster waren und wo die Decke anfing. Der dicke Teppich dämpfte das Geräusch ihrer zaghaften Schritte.
Am entferntesten Ende des Saales saß an einem Schreibtisch mit grünbeschirmter Lampe eine merkwürdig widerwärtige Gestalt. Der Kopf war schmal und kahl, das bartlose Gesicht mit tausend Falten bedeckt, die Nase dick und tief herabhängend. Und das lange, spitze Kinn bewegte sich fortwährend, als ob der Mann mit sich selbst spräche.
»Setzen Sie sich auf den Stuhl«, gebot die hohle Stimme.
Ihre Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, und sie nahm zitternd hinter dem kleinen Tisch Platz.
»Ich habe Sie kommen lassen, damit Sie Ihr Glück machen«, murmelte die Stimme. »Schon viele haben auf dem Stuhl da gesessen und sind als reiche Leute fortgegangen. Auf dem Tisch - sehen Sie?«
Er mußte wohl auf einen Knopf gedrückt haben, denn plötzlich flammte über ihrem Kopf ein strahlend helles Licht auf, und sie sah ein Bündel Banknoten auf dem Tisch.
»Nehmen Sie es!« sagte der Mann.
Sie streckte die bebende Hand aus und ergriff das Paket - und einen Schlüssel, worauf das Licht wieder langsam erlosch.
»Ihr Name ist Audrey Bedford, nicht wahr? Nach neun Monaten Haft wegen Mithilfe bei einem Juwelenraub wurden Sie vor drei Wochen aus dem Gefängnis entlassen, nicht wahr?«
»Ja, ich mache kein Hehl daraus und hätte es Ihnen jedenfalls gesagt.«
»Unschuldig natürlich?«
»Ja, ich war unschuldig.«
»Sie sind schlecht angezogen ... Das mag ich nicht. Kaufen Sie sich schöne Kleider und kommen Sie nächste Woche zur selben Zeit wieder. Der Schlüssel öffnet alle Türen, wenn die Sperrvorrichtung ausgeschaltet ist.«
Endlich fand Audrey ihre Stimme wieder.
»Ich muß wissen, was für Pflichten ich übernehme«, sagte sie. »Es ist sehr großmütig von Ihnen, mir soviel Geld
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