027 - Gefangener des Unsichtbaren
wenn ich das, was ich erleben mußte… niederschreibe…« Er unterbrach sich
abrupt, hob den Kopf und lauschte dem Klang seiner Stimme, die verhallte.
Hatte ihn jemand gehört?
Außer ihm war niemand anwesend,
trotzdem hieß es vorsichtig zu sein…
Schreiben… arbeiteten seine
Gedanken unermüdlich weiter… Du mußt niederschreiben, was du erlebt hast. Wenn
dir etwas zustößt, wird man die Nachricht finden und der Sache auf den Grund zu
gehen versuchen. Du mußt die Nachricht dann nur noch heimlich an einem sicheren
Ort verbergen. Im Haus eines Freundes… bei einem Anwalt hinterlegen… oder sie
im Tresor einer Bank deponieren…
Plötzlich bekam er Schwung.
Er erhob sich, nahm aus dem
winzigen Sekretär Papier und Füllfederhalter und setzte sich wieder an den
Tisch zurück, auf dem Karaffe und Glas standen.
Er knipste auch jetzt kein Licht
an.
Doch er setzte sich so, daß er dem
schwach durch die Vorhänge sickernden Licht von außen nicht mehr den Rücken
zuwandte.
Er sah sehr schlecht, doch mit
einiger Anstrengung konnte er schreiben.
Das herrschende Halbdunkel war für
ihn wie ein Schutzmantel. Der Unbekannte, der ihm mit seinem Auftauchen sein
Leben zur Hölle gemacht hatte, konnte durch Wände gehen. Wahrscheinlich konnte
er auch durch Wände sehen… aber wenn es so dunkel blieb, schöpfte er erst gar
keinen Verdacht und mit dem Sehen selbst war es auch schlecht bestellt.
»Was ich hier niederschreibe«,
vermerkte er mit zügiger, klarer Schrift, der man nicht ansah, daß er mehr
getrunken hatte, als es sonst seine Art war, »entspricht der Wahrheit. Ich bin
im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und weiß genau, was ich tue.
Wahrscheinlich wird man mir nicht glauben. Seit dem heutigen Tag, dem 5. März,
befinde ich mich in der Gewalt eines Unsichtbaren. Ich bin sein Gefangener und
muß tun, was er von mir verlangt. Er läßt sich Lord Crowden von mir
nennen, und ich bin sein Sklave.
Er hat mich dazu gezwungen, einen
Mann in eine Falle zu locken, der am Kauf des Bildes Die Dämonensonne interessiert war…
Doch ich will alles der Reihe nach
schildern…«
Er schrieb in Hast, als hätte er
plötzlich die Gewißheit, daß die Zeit ihm knapp würde. Doch trotz aller Eile
kam er nicht mehr weit. Plötzlich fühlte er es. Da stand jemand hinter ihm, und
schaute ihm über die Schulter! Lord Crowden…
●
Mit einem Aufschrei fuhr John
White herum.
Da wurde er auch schon von harter
Hand gepackt und in die Höhe gerissen.
»Hältst du so deine Versprechungen
ein, White ?« fragte die dunkle Gestalt.
»Aber… ich…«, stammelte der alte
Mann, und es fiel ihm keine geeignete Ausrede ein.
Der Unheimliche, der wie ein Geist
mitten im Raum aufgetaucht war, hielt ihn mit einer Hand fest, während er mit
der anderen die dunkle Brille anhob.
White schrie. In dem schmalen Haus
aber waren Fenster und Türen fest verschlossen, und außer ihm wohnte niemand
hier.
Der Antiquitätenhändler wandte den
Kopf und wußte, was jetzt kam.
Er hatte es bei Tom, seinem Kater,
erlebt!
Aus den leeren Augenhöhlen des
unheimlichen Besuchers schossen zwei grellrote, fingerdicke Strahlen.
Sie rasten auf das halb
beschriebene Blatt auf dem Tisch zu.
Das Papier fing sofort Feuer.
Flammenzungen ergriffen auch die Tischdecke und fraßen sich in das alte,
trockene Holz.
John White erhielt einen Stoß
gegen die Brust und wurde brutal gegen die Wand geworfen. Der alte Mann stand
eine Sekunde wie angenagelt davor und rutschte dann langsam in die Knie. Der
Unheimliche hatte noch immer die Brille angehoben, und erneut schossen
grellrote Flammenstrahlen durch den Wohnraum und fraßen sich in die langen,
schweren Samtvorhänge, in die Rücken der in den Regalen aufgestellten Bücher.
Das dicke Papier begann zu schwelen, und im Nu erfüllte beißender Qualm das
niedrige Zimmer.
»Ich bin es gewohnt, Dinge nur
einmal zu sagen«, ertönte die Stimme des unerwarteten Besuchers kalt und
unpersönlich. »Ich hatte dich gewarnt, White. Extravaganzen lasse ich nicht
durchgehen. Was jetzt geschieht, hast du dir ganz allein zuzuschreiben…«
John White vernahm die Worte wie
durch Watte.
Er war unfähig, sich aufzurichten,
obwohl er wußte, daß sein Leben von seiner eigenen Entscheidung abhing.
Er mußte fliehen! Die Wohnung
brannte!
Instinktiv nahm er das Feuer wahr
und den Qualm, der sich drückend auf seine Lungen legte und ihm den Atem raubte…
White war schon halb besinnungslos, und sein Bewußtsein erlosch
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