0270 - Mordnacht der Wölfe
Zamorra rollte sich auf die Seite und federte hoch. Er konnte gerade noch wieder mit dem Amulett zuschlagen, als ihn der Werwolf erneut ansprang. Das Amulett krachte in das aufklaffende riesige Maul, und die Zähne packten zu und schlossen sich darum. Das Amulett wurde Zamorra förmlich aus der Hand gefetzt. Aber der Werwolf heulte jetzt gequält auf und spie es sofort wieder aus. Er duckte sich und wich ein paar Schritte zurück. Die Silberscheibe wirkte also tatsächlich auf ihn ein.
Zamorra ging in Karatestellung. Er wußte, daß er das Amulett nicht rechtzeitig wieder erreichen konnte. Der Werwolf würde schneller sein. Irgendwo tief in Zamorra begann die Furcht zu brodeln und wollte ihn lähmen. Er war jetzt waffenlos und verletzt! Die Bestie konnte ihn jederzeit zerreißen…
Und sie sprang erneut! Zamorra duckte sich, aber der massige Körper schlug dennoch auf ihn. Krallen zerfetzten Stoff und Haut. Zamorra wurde förmlich unter dem mächtigen Werwolf-Körper begraben. Er wand sich zur Seite und entging um Haaresbreite dem zuschnappenden Gebiß. Es hätte ihm glatt das Genick zermalmt. Er stieß mit Knien und Ellenbogen nach den Weichteilen der Bestie, traf aber nichts. Warum zum Teufel griff Teri nicht ein?
Da floß etwas Grelles über den Werwolf. Zamorra sah einen flirrenden Schatten, eine irgendwie verwaschene blitzschnelle Folge von Schlägen, und der Werwolf heulte. Ein grauer Schatten sprang ihn an und schleuderte ihn von Zamorra. Fenrir war da! Zamorra hörte Teri schreien und sah sie gleich doppelt - aber irgendwie durchsichtig. Sie krümmte sich vor Schmerzen, und eine der beiden gläsernen Gestalten löste sich auf, während die andere fester wurde.
Fenrir knurrte und heulte. Der Werwolf brüllte. Zwei graue Fellbündel wälzten sich über die Straße, ineinander verbissen und wütend kämpfend. Ein Automotor sprang an, Reifen kreischten. Eine gleißende Lichtflut blendete Zamorra, und er brachte sich mit einem waghalsigen Sprung in Sicherheit. Auch Fenrir löste sich von seinem Gegner. Zamorra sah einen langgestreckten weißen Wagen durch die Nacht fegen. Es gab einen dumpfen Aufschlag, und ein schwerer Körper wurde hochgewuchtet und meterweit durch die Luft geschleudert.
Der Werwolf…
Und etwas Seltsames geschah.
Noch während er durch die Luft geschleudert wurde, löste er sich auf! Er war plötzlich nur noch eine graue Wolke, die dann jäh verschwand.
Der weiße Cadillac jagte weiter. So schnell konnte Nicole ihn nicht mehr zum Stehen bringen. Sie jagte mit kreischenden Pneus in eine Seitenstraße und verschwand.
Zamorra atmete tief durch.
Das war höllisch knapp gewesen.
Er sah sich nach Teri um. Das halbnackte Mädchen stand leicht vorgebeugt und japsend da. Zamorra eilte auf sie zu. »Was ist los?« fragte er und versuchte sie zu stützen. Teri lächelte verzerrt.
»Der zeitlose Sprung«, keuchte sie. »Er klappt noch nicht so ganz… die verdammte Droge! Es hätte mich fast umgebracht, als ich an zwei Stellen zugleich war und es doch nicht sein konnte… es wollte mich zerreißen…«
Da begriff Zamorra, was es mit der durchsichtigen Doppelerscheinung auf sich hatte. Teri war gesprungen - oder hatte es zumindest versucht, um den Werwolf mit Schlägen einzudecken. Aber sie war nur zur Hälfte an ihrem Ziel angekommen…
Fenrir schniefte, saß mitten auf der Straße und leckte sich die Wunden. Ein zäher Brocken, teilte er telepathisch mit.
»Es geht langsam wieder«, murmelte Teri.
Zamorra ließ sie los. Die Druidin straffte sich. Das Mondlicht ließ ihr hüftlanges goldenes Haar leuchten. Zamorra sah sich um. Außer ihnen befand sich niemand auf der Straße. Selbst Julio daRaca hatte sich nicht herausgetraut. Er stand noch hinter dem zerstörten Fenster. Zamorra war sicher, daß ein paar hundert Augen hinter geschlossenen Fensterläden her auf die Straße spähten und Zeugen des Kampfes geworden waren. Aber keiner hatte daran gedacht zu helfen.
Wenn Nicole den Werwolf nicht mit dem Wagen gerammt und hochgeschleudert hätte…
»Warum kommt sie nicht zurück?« murmelte Zamorra verwundert.
»Der Werwolf scheint auch so etwas wie die Teleportation oder den zeitlosen Sprung zu beherrschen«, sagte Teri. »So, wie er sich aufgelöst hat…«
Ich habe noch einen anderen Verdacht, aber dazu möchte ich mich noch nicht äußern, bemerkte Fenrir. Bevor ihr euch Sorgen um mich macht: ich bin okay. Die Wunden sind nur oberflächlich.
»Das ist beruhigend«, sagte Zamorra.
Weitere Kostenlose Bücher