0272 - Gorgonen-Fluch
in den Tod gelockt!
»Nein«, sagte sie leise.
Er stutzte.
Ihre Stimme klang seltsam hart, wie Stein, der auf Stein schlug. Ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, den sie immer noch auf ihn machte, als er sich ihr wieder zuwandte. Sie sah aus, als träumte sie, als verlöre sich ihr Geist in unendlichen Fernen. Und doch war sie hellwach.
»Ich habe eine Idee«, sagte sie. »Du mußt mir dabei helfen, Franklin. Ich brauche einen Hubschrauber nach Rom. Einen großen und schnellen Helikopter. Sofort.«
»Wozu?« fragte er.
»Ich will es nicht wahrhaben, daß Zamorra tot ist«, sagte sie. »Ich muß auch das letzte versuchen, aber es muß schnell gehen. So schnell wie noch nie zuvor. Franklin, ich brauche den schnellsten Hubschrauber, den du auftreiben kannst. Verstanden?«
»Verstanden, aber nicht begriffen«, sagte er heiser.
Nicole straffte sich. Ihre sonst so weichen Gesichtszüge verhärteten sich, die Wangenknochen sprangen stärker hervor. Sie war bereit, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu kämpfen.
»Nach England«, schrie sie, daß ès in seinen Ohren schmerzte. »Wir müssen nach Wales! Sofort!«
***
Ettore Dano zwang sich mit aller Gewalt, den Fall als Fall zu betrachten und seine Gefühle, so wirr sie auch waren, unter Kontrolle zu bekommen. Er mußte kühlen Kopf bewahren.
Egal, was geschah.
Lange Zeit saß er hinter seinem Schreibtisch, starrte den schwarzen Wachmacher in der Tasse an, und grübelte vor sich hin. Er wußte, daß er mit der Wahrheit über die Geschehnisse kaum durchkommen würde. Bis man ihm höheren Orts glaubte, würden zig Expertenkommissionen verzweifeln. Bis dahin war er alt und grau, war mit Sicherheit nicht mehr im Polizeidienst. Spinner und Fantasten konnte hier keiner gebrauchen.
Mal ehrlich, alter Junge, sagte er sich. Würdest du’s glauben, wenn du es nicht mit eigenen Augen gesehen hättest?
Medusa, Euryale, Stheno! Hirngespinste. Und doch mußte es sie geben. Denn auf natürliche Weise konnte niemand zu Stein werden. Schön, daß es extreme Muskelverhärtungen gab, das wußte er selbst. Aber die gingen nie so weit, daß der Körper dabei Farbe und Struktur von Marmor annahm - und beim Aufprall auf den Boden in Scherben zersprang.
Er sah auf die Uhr. Aus dem verdienten Schlaf wurde es mit Sicherheit nichts mehr. Wenn er zu Hause ankam und sich hinlegte, konnte er sogleich wieder aufstehen und ins Präsidium zurückkehren. Verdammter Nachteinsatz, der sich so furchtbar in die Länge zog. Er gähnte. Es half nichts, bei normalem Schichtbeginn würden seine Vorgesetzten den Bericht haben wollen, und den mußte er noch zusammenlügen. Nach seinen Überstunden fragte keiner. Also war es besser, er blieb direkt hier, tippte den Bericht und haute sich im Büro für zwei, drei Stunden auf die Pritsche. Gut, daß es im Herzen Neapels keine Hähne gab, die ihn wachkrähen konnten.
Dafür das Hupkonzert der morgendlichen rush-hour.
Er erhob sich, wollte zum Schreibmaschinentisch gehen und streifte den Marmor-Peter-Clarke mit einem mürrischen Blick. »Ach, das Ding«, murmelte er und bemühte sich krampfhaft, von der Statue nur als von dem Ding zu denken und nicht von dem Menschen Clarke, »ist ja auch noch hier! Warum haben diese Idioten es nicht zur Gerichtsmedizin gebracht, damit sich Viagli seine hohlen Zähne daran ausbeißen kann?«
Das Telefon schrillte.
Dano beschwor alle Heiligen, die er kannte. Aber das Klingeln riß nicht ab. Mürrisch nahm er den Hörer hoch und meldete sich.
Wenn man vom Teufel spricht, dachte er grimmig, dann kommt er, und wenn man an Viagli, den alten Maulwurf, denkt, ruft er an!
»Man sagte mir, daß Sie eine freiwillige Nachtschicht schieben, Capo. Sie haben einen zweiten Fall?«
»Ich bin gerade dabei«, knurrte Dano, »die Briefmarke draufzukleben und das Ding per Luftpost zu Ihnen zu schicken. Hübsches Steinchen und sehr gut erhalten.«
»Woher?«
»Interessiert Sie das wirklich, Dottore?« murmelte er. »Weshalb rufen Sie wirklich an?«
»Es ist nicht alles Marmor, was weiß ist«, sagte Viagli. »Während Sie faul im Bürosessel schliefen, habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und zusammen mit einem Chemiker die Bruchstücke des Rascani-Marmors unters Mikroskop genommen. Unters Elektronenmikroskop sogar. Und dabei sind wir einmütig wie nie zuvor zu überraschenden Ergebnissen gekommen.«
»Sagen Sie’s schon«, verlangte Dano. »Oder ich erschlage Sie mit meinem Steinchen hier.«
Hinter ihm war ein
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