0274 - Astrano - Herr der Geister
war.
Andererseits bedeutete es, daß die Entführer sich ihrer sehr sicher waren. Es würde wahrscheinlich ein hartes Stück Arbeit werden freizukommen.
Stockdunkel war es ringsum! Als sie die Hand vor dem Gesicht hin und her bewegte, konnte sie sie noch nicht sehen, als sie mit dem Finger bei weit aufgerissenen Augen die Stirn berührte.
Gab es eine solch furchtbare Dunkelheit?
Oder war sie etwa erblindet? Die Angst davor sprang sie an wie ein wildes Tier.
Sie richtete sich auf, stieß mit dem Kopf an. Über ihr, etwa einen Meter hoch, befand sich etwas. Eine hölzerne Platte.
Sie griff nach rechts, links und den anderen Seiten. Da war auch Holz! Man hatte sie in einer Kiste eingesperrt! Für einen Sarg war sie zu groß, aber wie ein solcher rundum geschlossen. Dann ertastete sie Luftschlitze. Von da kam der Frischluft-Nachschub, ohne den sie binnen kurzer Zeit erstickt wäre. Aber jenseits dieser Luftschlitze mußte es ebenfalls dunkel sein. Nicht einmal ein schwacher Lichtschimmer drang hindurch.
»Oder bin ich doch blind geworden?«, fragte sie sich leise.
Plötzlich fiel ihr ihre Uhr ein. Die paßte zwar absolut nicht zu dem tropischen Fransen-Bikini, aber Nicole hatte einfach vergessen, sie vor der Vorstellung abzunehmen. Mit spitzen Fingern tastete sie danach und berührte den Kontakt. Das Ziffernfeld leuchtete kurz auf und zeigte ihr die Zeit: Einundzwanzig-neunundvierzig!
Im nächsten Moment flammte die Digitaluhr grell auf und wischte die Beruhigung über ihr Noch-sehen-können brutal fort. Flammen schossen aus der Uhr, die sich blitzschnell aufheizte. Dabei konnte das Material unmöglich brennen!
Wie konnte es sich überhaupt entzünden?
Nicole packte zu, riß das Armband einfach mit einem heftigen Ruck durch und ließ die Uhr in eine Ecke der hölzernen Kiste fliegen. Dort brannte das Instrument aus. Der Lichtschein wurde immer schwächer, verwandelte sich in einen winzigen Glutpunkt, der ebenfalls bald erlosch.
Die Dunkelheit fraß wieder das Licht.
Nicole schüttelte den Kopf und rieb sich das schmerzende Handgelenk. Erfreulicherweise gab es keine Brandblase; wenigstens etwas Gutes in ihrer mißlichen Lage. Aber wer hatte ihre Uhr so drastisch zerstört, und warum?
Und warum wurde sie ungefesselt in dieser Kiste gefangengehalten?
Ich muß hier raus, dachte sie. Sie litt zwar nicht an Platzangst, aber diese Dunkelheit wirkte auf sie bösartig. Sie richtete sich wieder halb auf und stemmte sich gegen das Holz. Vielleicht gelang es ihr, den Deckel der Kiste abzusprengen…
Sie spannte all ihre Kräfte an. Sie keuchte und zitterte vor Anstrengung. Aber das Holz bewegte sich nicht. Es bog sich trotz der Länge der Platten nicht einmal geringfügig durch. Es war, als bestände es aus Eisen.
Dreimal vesuchte sie es. Dann sank sie erschöpft zusammen. Ihr Finger, der durch einen der Luftschlitze tastete, fand dahinter keinen Widerstand. Der Raum, in dem die Kiste stand, mußte ebenfalls völlig abgedunkelt sein.
Saugend sog Nicole die Luft in die Lungen.
Wo bin ich hier? hämmerten ihre Gedanken. Und warum wurde meine Uhr zerstört?
Es war klar, daß der Vorgang von außen gesteuert wurde. Keine Quarzuhr gerät jemals von selbst in Brand.
Immer wieder kehrten ihre rasenden Gedanken zu diesem Phänomen zurück. War die Uhr zerstört worden, weil sie sich als technischer Gegenstand nicht mit der hier herrschenden Magie vertrug? Oder sollte Nicole nur einfach nicht erfahren, wie lange sie sich hier schon aufhielt, und ihr Gegner holte durch die Zerstörung etwas Versäumtes nach?
Im nächsten Moment hatte sie in ihrer Kiste Besuch!
***
Zamorra hörte das leise Tappen und einen Fauchlaut. Er fuhr herum. Seine Augen weiteten sich, und er riß mit einer blitzschnellen Bewegung Morano zur Seite.
Da kamen Tiger!
Sie kamen auf den Vorhang zu Irgendwo endeten die Laufgitter. Im Normalfall wurden sie beim Auftritt bis zum Manegenrand verlängert, an dem sich die hohen Schutzgitter erhoben. Aber es war kein Auftritt vorgesehen!
Zamorra entsann sich des Anschlusses an die Käfigwagen. Jemand hatte sie geöffnet, die Laufgänge aber nicht bis zur Manege verlängert, und jetzt kamen die Raubkatzen frei und ungehindert heran!
Im Gänsemarsch folgten sie einander. Drei Tiger, zwei Löwen, ein Leopard. Sie bewegten sich zögernd, mißtrauisch, nach allen Seiten sichernd. Und sie gingen direkt auf die Manege zu.
Morano war totenblaß.
»Sie dürfen nicht hinein«, flüsterte er heiser. »Das gibt ein
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