0277 - Im Penthouse der Angst
aufzog.
Ihr Herzschlag wollte stocken, als ihr die Tür entgegenschwang und sie in ein leeres Fach schaute.
Das heißt, leer war es nicht, es hielt sich nur kein Mensch darin verborgen. Sie hatte dort Koffer und Taschen abgestellt sowie ihre Winterschuhe.
Vor Erleichterung seufzte sie auf und dachte immer stärker an eine Täuschung. Sie mußte sich diese Stimme eingebildet haben, etwas anderes konnte sie sich einfach nicht vorstellen.
Parallel zum Schrank ging sie entlang, da sie auch die zweite Tür noch aufziehen wollte.
Diesmal verspürte sie eine nicht so große Angst, obwohl das Unwohlsein nach wie vor existierte.
Noch einmal atmete sie tief durch, als sie zwei Finger um den kleinen Knopf gelegt hatte.
Ein Ruck – und…
Einen Lidschlag später schien die Welt um sie herum zu erstarren. Valerie Cramer glaubte sich in einen Alptraum hineinversetzt.
Das Zimmer wurde zu einem Platz der Angst, denn diese Schrankseite war nicht leer.
Dort stand jemand.
Ein Neger!
Er hatte helle, fast, strahlend weiße Augen, die besonders wegen seiner dunklen Hautfarbe auffielen. Der Mund stand offen. An seinem Kinn war der Speichel getrocknet und bildete dort einen gelblich weißen Fleck. Das alles interessierte Valerie nicht. Ihr Blick wurde wie magisch vom Kopf des Mannes angezogen, denn genau zwischen seinen Augen und dicht an der unteren Grenze der Stirn schaute ein Pfeil mit zwei Federn hervor…
Valerie Cramer wunderte sich selbst darüber, daß sie nicht laut anfing zu schreien. Sie hätte sich selbst diese Beherrschung nicht zugetraut, aber es war nun mal so. In ihrem Innern jedoch sah es völlig anders aus. Da kochten die Gefühle über. Angst und Panik ließen sie zittern, aus dem Mund drangen keuchende Laute, und sie schüttelte immer wieder den Kopf, als könnte sie das schreckliche Bild noch nicht fassen.
Der Tote stand zwischen ihren Mänteln.
Er wirkte dort wie eine unheimliche Schaufensterpuppe, die einen Stoß erhalten haben mußte, denn urplötzlich begann sich die Leiche zu bewegen.
Sie kippte langsam auf Valerie zu.
Normalerweise wäre die Frau zur Seite gesprungen, doch in dieser für sie völlig fremden Situation war sie nicht in der Lage, auch nur den kleinen Finger zu bewegen. Der kalte Horror bannte sie auf der Stelle, und sie kam nicht weg.
Die Leiche näherte sich ihr. Sie wurde größer, und Valerie glaubte, das Gesicht um das Doppelte anwachsen zu sehen.
Noch immer konnte sie sich nicht bewegen. Sie war zwar willig, doch das Fleisch schwach, und als sie sich endlich überwunden hatte, da war es zu spät. Plötzlich kippte der Tote gegen sie. Ein unglücklicher Zufall ließ seine Arme nach vorn schwingen, so daß Valerie Cramer von dem Toten in den Clinch genommen wurde.
Dann brach sie unter dem Gewicht der Leiche zusammen, fiel auf den Teppich, und der Tote blieb starr wie ein großer Stein auf ihr liegen…
***
Die Nacht war schwülwarm. Trotzdem trug Chiefinspektor Tanner seinen speckigen Hut, den alten Mantel und kaute auf einer erkalteten Zigarre herum. Dabei machte er ein so bitterböses Gesicht, daß Suko angstvoll beide Hände hob und einen Schritt zurückging.
»Ich kann doch nichts dafür, lieber Tanner!« sagte er.
Tanner schüttelte den Kopf. »Jetzt ist dieser Höllensohn von Sinclair schon mal nicht da, und schon kommen Sie herbei und rauben mir meine Nachtruhe. Das geht in meinen Kopf nicht rein. Und immer erwischt es mich. Wenn ihr schon einen Toten findet, dann bitte nicht am Ende eines Gullyschachtes, sondern ganz normal irgendwo auf dem Boden liegend. Ich habe nämlich keine Lust, immer in die Unterwelt hineinzusteigen und…«
»Keine Übertreibungen.«
Tanner schob seinen Filz noch weiter nach hinten. »Ist ja auch egal«, knurrte er. »Jedenfalls stinkt mir der Einsatz, und nicht nur vom Geruch her.«
Suko konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er nahm es dem guten Tanner nicht übel, wenn er so reagierte. Wäre er anders gewesen, hätte sich Suko gewundert und darüber nachgedacht, ob er krank war. Tanner war ein hervorragender Kollege, er hatte halt seine Eigenheiten. Seine Männer gingen für ihn durchs Feuer, auch wenn er des öfteren ziemlich knurrig und beißbärtig war.
Der Gullyschacht wurde von mehreren Scheinwerfern angeleuchtet, die einen hellen Kreis auf den Boden warfen, der dreimal so groß war wie der Schacht selbst. Aus der Tiefe hörte Suko die Stimmen der Männer. Und sie klangen nicht begeistert.
»Da sehen Sie, was Sie angerichtet
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