0277 - Im Penthouse der Angst
die Hitze ihr übriges getan, und sie war verschwitzt wie selten.
Bevor sie den offenen Durchgang in die kleine Diele passierte, schloß sie noch die Flurtür. Es war eine Besonderheit dieses Penthouses, daß man vom Flur aus direkt in den Wohnraum gelangte und erst von ihm die anderen Zimmer erreichte.
Dazu gehörten das Bad und auch der Schlafraum. Sowie ein kleines Arbeitszimmer, das sich an den Schlafraum anschloss.
Auch im Flur entdeckte sie niemanden. Im Schlafraum auch nicht, und als sie die Tür zum Bad aufstieß, war dieses ebenfalls leer. Lächelnd schüttelte Valerie Cramer den Kopf. Sie hatte sich eben zuviel vorgemacht und eingebildet.
Vor sich hin lächelnd betrat sie das Bad. Es war grün gekachelt, zwar nicht ihr Geschmack, aber ihr gehörte das Penthouse ja nicht.
Dusche und Wanne bildeten eine Linie.
Valerie Cramer ließ die dünne Leinenjacke von ihren Schultern gleiten und wollte schon das blaue Sonnentop über den Kopf ziehen, als sie wie erstarrt stehen blieb.
Sie hatte etwas gehört.
Ein Lied.
Und es drang aus ihrer Wohnung.
»Zehn kleine Negerlein, die…«
Mehr verstand sie nicht, weil die weiteren Worte in einem undeutlichen Gemurmel untergingen, doch für sie gab es keinen Zweifel, daß jemand gesungen hatte.
Die Frau konnte dabei zuschauen, wie sich auf ihrer Haut ein Schauder bildete. Auf einmal wußte sie, daß sie keiner Täuschung erlegen war. Es befand sich jemand in der Nähe.
Im Haus!
Jetzt verlier nur nicht die Nerven, sagte sich Valerie Cramer.
Bleib um Himmels willen ruhig. So schlimm ist das alles nicht. Du wirst es überstehen, du hast schon manches hinter dich gebracht und wirst auch dies schaffen.
Deshalb wartete sie ab, und sie lauschte, ob sich der Gesang wiederholen würde.
Eine Weile geschah nichts. Die gesungenen Worte waren verklungen, und auch die Gänsehaut auf Valeries Körper verschwand.
Dafür stieg die Furcht in ihr hoch.
Ja, sie hatte plötzlich Angst, wieder zurück in ihren Wohnraum zu gehen, denn dort war der Gesang aufgeklungen.
Da mußte der Fremde lauern.
So flach wie möglich atmete sie. Die Schuhe hatte sie noch nicht ausgezogen, bog ihren Oberkörper vor und schlich auf Zehenspitzen den Weg zurück.
Valerie hatte das Gefühl, nicht mehr in ihrer eigenen Wohnung zu sein. Sie fühlte sich darin wie eine Fremde, und über ihren Rücken rann abermals ein Schauder, als sie das Bad endlich verlassen hatte, durch die kleine Diele ging und in den Wohnraum hineinlugte.
Es war ein vorsichtiges Schielen, von der Angst geprägt, und auch ihr Herz klopfte jetzt stärker.
Wo stand der unheimliche Sänger?
Sie sah ihn nicht.
Ein leeres Zimmer lag vor ihr.
Valerie atmete tief durch. Ich bin doch nicht verrückt, sagte sie sich. Nein, der Job hat dich nicht so kaputt gemacht.
Eine Haarsträhne war in ihre Stirn gefallen, und Valerie strich sie hastig wieder zurück. Sie versuchte sich selbst zu beruhigen, indem sie lächelte und forsch in den Raum hineinschritt. Damit überwand sie einen Teil ihrer eigenen Angst, aber es gelang ihr nicht, die gesamte Unruhe zu unterdrücken.
Ein Rest blieb…
Wo steckte der Unbekannte, der dieses unheimliche Lied gesungen hatte?
Das war die große Frage. Wenn er tatsächlich dagewesen war und sie sich nicht getäuscht hatte, mußte er sich nach wie vor in der Wohnung aufhalten, denn sie hatte das Schnappen der Tür nicht vernommen. Und auch keine Schritt gehört, die auf eine Flucht hingedeutet hätten.
Valerie drehte sich.
Da fiel ihr Blick auf den Schrank. Er gehörte zum Programm der Einbaumöbel und nahm eine Wandbreite ein. Das Möbelstück war aufgeteilt. Es hatte an der rechten und linken Seite zwei große Türen. In der Mitte bestand der Schrank aus einem Regalaufbau, wo Valerie ihre zahlreichen Bücher aufbewahrte.
Zumeist war es moderne Literatur in Taschenbuchform.
Konnte sich der unheimliche Sänger, falls er sich noch in der Wohnung aufhielt, im Schrank versteckt halten?
Diese Frage stellte sie sich, denn von der Höhe her reichte das Möbel aus.
Sie mußte sich für eine Seite entscheiden und nahm zunächst die rechte aufs Korn.
Falls sich der Unbekannte tatsächlich dort verborgen hielt, sollte er nicht merken, wie nahe Valerie ihm bereits war. Deshalb näherte sie sich der Schranktür ebenfalls auf Zehenspitzen.
Es entstand kaum ein Geräusch, als sie auf die Tür zuschritt, den kleinen metallenen Griffknopf anpeilte, vor der Tür für einen Moment stehen blieb und sie dann
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