0278 - Amoklauf des Messerstechers
wir keine Lust haben, sagen wir Bescheid!« hallte Silvias Stimme über das Wasser.
»Okay.«
Silvia und Susanne schwammen wieder zurück. Sie hielten sich dicht nebeneinander, ihre Arme teilten das Wasser. Wellen, vom Strand zurückrollend, schäumten über ihre Köpfe, wehten die Haare zu großen Vliesen auf, und wenig später spürten die beiden Grund unter ihren Füßen. Sie taumelten an Land. Schwerfällig ließen sie sich in den noch immer warmen Sand fallen, stützten sich auf, bogen die Rücken durch und schauderten ein wenig zusammen, als der Wind kühl über ihre nackten Körper strich.
In der Bucht war es still. Eine kleine Oase inmitten des Trubels. Auch von der Straße her drang kein Lärm zu ihnen. Die Mädchen fühlten sich wie im Paradies, durch die noch warmen Felsen von drei Seiten geschützt.
Daß ein grauenvolles Monstrum bereits darauf lauerte, Tod und Vernichtung zu säen, ahnten sie nicht…
***
Sauer war Angelika Scherschel zwar nicht, nur ein wenig eingeschnappt.
Erst hatten Susanne und Silvia die große Klappe, dann kniffen sie.
Na ja, sollten sie. Angelika jedenfalls fühlte sich auf dem Felsen wohl.
Sie bekam dieses Gefühl schon, als sie ihn erkletterte, denn das war etwas völlig anders, als einen normalen Berg hinaufzusteigen. Irgendwie prickelnder und außergewöhnlicher, denn dieser Felsen ragte aus dem Wasser. Er war eine steinige Insel, umgeben von einer nicht tragenden Fläche, die keine Sicherheit gewährte wie ein Erdboden.
Das war schon etwas Besonderes, und davon hatte Angelika immer geträumt. Wie oft blätterte sie zu Hause in den einschlägigen Illustrierten nach, sah die herrlichen Farbfotos von Urlaubern, die von kleinen, einsamen Buchten, Felsen und Inseln erzählten. Von jungen Mädchen in Bikinis, von FKK-Leuten, Surfern und Seglern. Darüber der ewig blaue Sommerhimmel, die schäumenden Wellen, die braunen Körper der, Sonnenhungrigen und die im grellen Licht glänzenden Fassaden der Hotels.
Eine wunderbare Sache.
Und die erlebte sie nun ebenfalls.
Weil sie Felsen im Meer immer besonders angezogen hatten, nahm sie auch die Mühe in Kauf, diesen hier zu erklettern. Zu Beginn war es ein wenig schwierig gewesen. Je höher sie allerdings kam, um so leichter wurde es ihr gemacht.
So dauerte es nicht sehr lange, bis sie die höchste Stelle des kegelförmigen Felsens erreicht hatte, dort sogar eine kleine Mulde fand, in die sie sich setzte.
Die Beine zog sie an, nahm die Füße hoch, drehte sich und schaute zum Strand hin, wo ihre Freundinnen soeben aus dem Wasser kletterten und sich in den Sand warfen.
Angelika lachte. Dann hob sie beide Arme, winkte, und ihr Gruß wurde von den anderen beiden erwidert.
»Wollt ihr nicht doch noch zu mir kommen?« rief sie hinüber.
»Nein.«
»Warum nicht.«
»Keine Lust!« rief Susanne.
»Ihr seid nur zu faul.«
»Auch das.«
Damit erschöpfte sich die Unterhaltung. Angelika Scherschel hatte auch keine Lust, weiter so zu schreien, sie wollte lieber das Meer beobachten, auch wenn es sich nur als eine dunkle Fläche präsentierte und nicht mehr die bunten Segel der Boote zu sehen waren.
Sie liebte das Meer. Es beruhigte, und sie konnte stundenlang auf die Fläche schauen und den Wellen nachblicken, wenn diese dem Strand entgegenrollten.
Von so einem Urlaub hatte Angelika lange genug geträumt und dafür gespart.
Bisher hatte sie immer in Richtung Strand geschaut. Nun drehte sie sich und ließ ihren Blick über die schwarze Fläche streifen, auf der hin und wieder Schaumkronen tanzten, wenn die Wellen höher wurden und der Wind wie mit gierigen Armen in das Wasser fuhr. Einen Horizont sah sie nicht, weil sich der Himmel und die Wasserfläche farblich kaum abgrenzten, aber sie entdeckte weit draußen eine bunte Lichterkette. Sie gehörte zu einem langsam fahrenden Schiff, wahrscheinlich einem Ausflugsdampfer auf einer Nachtfahrt, der Touristen über das Meer schaukelte. Diese Fahrten hatten sich die drei Mädchen ebenfalls vorgemerkt, denn auf den Schiffen, das hatten sie gehört, sollte immer viel los sein.
Mit den Blicken verfolgte Angelika das Schiff, wie es allmählich verschwand und dabei über den Wellen zu schweben schien. Das Gesicht des jungen Mädchens hatte einen träumerischen Ausdruck angenommen. Die Sorgen des Alltags waren weit, weit entfernt. Sie schienen von der Dunkelheit und dem Meer verschluckt worden zu sein und nie mehr zurückkehren zu wollen. Auf dem Felsen spürte sie den Wind besonders.
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