0279 - Der Herr der Unterwelt
als er Schritte hörte.
»Hallo!« sagte er, aber das Wort erstarb ihm auf den Lippen. Unwillkürlich wich er zurück.
James Breadcock trug keinen Mantel. Sein schwarzer Anzug hing wie ein Lappen um seinen Körper, von der Krempe seines Hutes floß das Wasser in Fäden.
Aber ich glaube, daß es nicht sein Aussehen war, das Lakes zurückprallen ließ. Neben dem Monster stand, sorgfältig in ein Regencape gehüllt, der dunkelhäutige Junge, und die riesige, im grauen Handschuh steckende Pranke Breadcocks umklammerte die kleine Hand des Kindes. Der Junge sah die Männer schüchtern, aber keineswegs verängstigt an.
Breadcock zog das Kind weiter in den Raum hinein. Hinter ihnen kamen Kitty Welson und dann Kid. Kitty Welsons Haar klebte in nassen Strähnen am Kopf. Sie trug eine abgeschabte Aktentasche in der Hand. In ihrem bleichen, hartfaltigen Gesicht flimmerten die grünen Augen.
Ich biß die Zähne aufeinander. Eine unserer Hoffnungen war geplatzt. Zwei Dutzend G-men, die seit Einbruch der Dunkelheit darauf warteten, daß Breadcock das Haus verließ, würden vergeblich auf unser Signal zur Besetzung der Baracke im Hinterhof der Sollanger Street warten.
Hammond Lakes bekam einen Wutanfall.
»Sind wir Zigeuner, die mit Weibern und Kindern zum Hühnerdiebstahl ausrücken?« schrie er. »Ich lasse mir von euch…« Mitten im Satz klappte er den Mund zu. Ohne die Hand des Kindes loszulassen, ohne eine heftige Bewegung zu machen, hatte Breadcock so rasch seine Pistole gezogen, daß es wirkte, als wäre sie ihm in die Hand gezaubert worden.
»Was paßt dir nicht, Schreihals?« knurrte er.
Lakes wich zurück und stammelte: »Das Kind…!«
»Meine Sache, nicht wahr? Sonst noch was?«
»Nein«, antwortete Lakes leise.
Das Monster blickte jeden von uns an, und die Waffe in seiner Hand folgte den Bewegungen seines Kopfes.
Auf mich richteten sich Blick und Pistole zuletzt.
Ich spürte ein hohles Gefühl im Magen.
»Hallo…«, sagte ich.
Breadcock antwortete mit einem Grinsen. Langsam steckte er die Pistole ein.
»Warum fangt ihr nicht an?«
Lakes sammelte sich. »Wir warten auf Fred und Ralph. Wir müssen wissen, daß die Erledigung der Nachtwächter geklappt hat, bevor wir an die Mauer gehen.«
»Habt ihr alles vorbereitet? Ist das Werkzeug unten?«
Lakes nickte.
»Macht den Einstieg frei! Ich will mir die Sache ansehen.«
Es gab keinen Widerspruch gegen das Monster. Lakes gab seinen Leuten den Befehl mit einer Kopfbewegung weiter. Die beiden machten sich daran, die nur lose auf Balken liegenden Holzdielen des Hüttenbodens abzuheben. Innerhalb weniger Minuten hatten sie den Einstieg zum Gang freigelegt.
Breadcock hob den Jungen auf den Arm.
»Wir sehen uns jetzt ’ne feine Höhle an, Angelino«, brummte er. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
Der Boy nickte. Er legte einen Arm um Breadcocks Nacken und hielt sich fest.
»Wer hat eine Taschenlampe?«
Lakes und seine Leute besaßen jeder eine Lampe.
»Gib Calligan deine Lampe!« befahl Breadcock dem Gangster Kid.
Ich nahm die Lampe.
»Geh voran.«
Ich kletterte die Leiter hinunter, die im Einstieg stand. Das Monster folgte mit dem Kind auf dem Arm, und ich leuchtete ihm. Sobald er unten angelangt war, bückte ich mich und betrat den Gang.
Lakes und seine Leute hatten sich Zeit gelassen, den Gang anzulegen. Zwar war er schmal, aber so hoch, daß man ihn leicht gebückt passieren konnte. Nur an den Abstützungen mußte man sich vorbeiwinden.
Der Gang war nicht sehr lang. Er erweiterte sich schließlich zu einer Art Höhle, die trotz der zahlreichen Stützen vier Männern Platz bot. Die hintere Seite der Höhle bildete die Fundamentmauer des Bankgebäudes. Davor waren Werkzeug, Spitzhacken, Meißel und Hämmer aufgestapelt.
Das Kind auf Breadcocks Arm verhielt sich still. Der Verbrecher tastete mit einer Hand die Mauer ab. Er brummte vor sich hin, Worte, Satzfetzen und einfach unartikulierte Laute.
»Schweres Stück Arbeit — hoffentlich richtig… Hm, kein Beton — bah.«
Die Prüfung schien ihn zufriedenzustellen.
»Okay!« grunzte er. »In ein paar Stunden bist du ein reicher Mann, Calligan!«
»Du auch«, antwortete ich. Es war unmöglich, hier unten irgend etwas zu riskieren, solange sich das Kind in Breadcocks Reichweite befand.
Er stieß einen verächtlichen Laut aus. Wieder mußte ich vorangehen. Als wir die Baracke erreicht hatten, setzte Breadcock das Kind auf den Tisch und blieb neben ihm stehen.
Wir warteten. Niemand sprach.
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