028 - Arena der Götter
lange nicht saß Suljaana jetzt kerzengerade auf ihrem Fell. Borisaas neben ihr stöhnte ihm Schlaf. Ihr schmaler Körper war steif vor Angst.
Und sie wusste nicht einmal, wovor sie Angst hatte. Sie hörte nur die zischenden Stimmen aus der Dunkelheit, sah den Göttersprecher Holzscheite auf die fast erloschene Glut werfen, sah überall Schatten aus der Dunkelheit wachsen und hörte das vollkommen fremde Geräusch: ein Flirren und Trommeln, das sie nicht einordnen konnte. Es kam von oben.
Sie starrte in die Dunkelheit hinauf, ohne das Eisgewölbe der Decke sehen zu können.
»Dra'flais!«, rief plötzlich eine Stimme. »Dra'flais!« Sie rief noch mehr, aber nur dieses eine Wort konnte Suljaana einordnen. Die Gerüchte von den fliegenden und tödliche Blitze verschießenden Ungeheuern hatten schnell die Runde gemacht.
»Borisaas!« Sie schüttelte den schlafenden Jungen. »Borisaas! Wach auf!«
Borisaas fuhr hoch. »Was ist los?«
Das fremdartige Geräusch schwoll an -und brach plötzlich ab. Dafür knirschte der Schnee auf dem Dach des Großigluus. Suljaana Augen folgten dem aufsteigenden Rauch. Flammen schlugen aus dem Holz, das Thul'anymo aufs Feuer gelegt hatte. Suljaana konnte die Kaminöffnung im Kuppeldach erkennen.
Beschwörender Singsang erhob sich plötzlich. Der Göttersprecher. Seine Stimme klang zittrig. Von irgendwoher hörte Suljaana Aruula rufen. »Suljaana! Borisaas! Aufwachen! Borisaas! Dolwuunas!« Irgendwo außerhalb der Hütte rief sie nach ihnen. Suljaana sprang auf.
Keinen Atemzug lang ließ sie die Dachöffnung aus dem Blick. Schnee rieselte von dort ins Feuer herab. Plötzlich ein Schatten im hell erleuchteten Rauch. Ein Schaben dann, lautes Knirschen und Rascheln - ein dreieckiger Kopf erschien in der Öffnung.
Ein ungeheurer Aufschrei ging durch die Hütte. Männer brüllten, Frauen kreischten, Kinder heulten laut, alles rannte durcheinander.
Große Schneebrocken brachen aus der Kaminöffnung. Einer fiel ins Feuer und löschte es fast. Rauch erfüllte den düsteren Raum. Der Körper der Bestie rutschte durch die erweiterte Öffnung, prallte dumpf und schwer auf das Feuer und löschte es vollständig.
Das allgegenwärtige Geschrei gellte in Suljaanas Ohren. Beißender Rauch drang ihr in Nase und Mund. Neben sich hörte sie Borisaas husten. Wieder der Aufprall eines schweren Körpers, und noch einer und noch einer.
Etwas berührte sie kalt im Gesicht. Etwas Lebendiges, Festes - doch kein menschliches Körperteil. Sie verlor alle Kontrolle über sich, kreischte, rannte los und stolperte über ein Kind.
»Suljaana!« Borisaas Stimme aus der Dunkelheit. Sie achtete nicht darauf. Die Panik trieb sie voran, füllte ihre Augen mit Tränen, schnürte ihr die Kehle zu. Ein Blitz zuckte, noch lautere Schreie erklangen, es stank nach verbranntem Haar und Fleisch. Suljaana war auf einmal von einer Mauer menschlicher Körper umgeben. Nichts war zu sehen, überall Schreie, überall Rauch, überall Menschen. Sie ließ sich von der Menge mitreißen. Irgendwie gelangte sie ins Freie. Wieder wurde ihr Name gerufen, diesmal von Aruula.
»Hier bin ich!«, brüllte sie. Plötzlich war etwas Kaltes, Hartes an ihrem Körper, in ihrem Haar. Sie wurde hochgehoben. Das hohe, fast metallene Geschwirre schwoll an. Der Schatten eines dunklen Körpers war über ihr, und unter ihr schwand der Boden…
***
Rulfan hetzte an der Schneewand der Gemeinschaftshütte entlang. Menschen stürzten an ihm vorbei. Dumpfe Schreie und Gejammer drangen aus dem großen Igluu.
Die Panik schlug ihm von allen Seiten entgegen. Das Gehämmer entfernte sich rasch. Der Angriff der Libellenartigen war so rasch vorbei wie er begonnen hatte.
Der Lupa sprang vor ihm her. Er bellte aufgeregt. Rulfan rief nach Aruula. Endlich erreichte er den Eingang des Gemeinschaftsigluus. Rauch quoll daraus hervor. Eine große Gruppe Menschen versperrte ihn. Sie kauerten ihm Schnee. Rulfan hörte Frauen weinen, Männer fluchen und Kinder wimmern. Er richtete den Schein der Lampe, die er vom Boot mitgebracht hatte, auf die Gruppe. Es waren fast ausschließlich Kinder von den Dreizehn Inseln. Und mitten drin Aruula.
Vier, fünf Kleinkinder drängten sich an sie. Aus traurigen Augen blickte sie ihn an. »Die Riesenbellits. Sie haben Kinder mitgenommen. Es waren die Grauen.« Wie leergefegt war Rulfans Kopf plötzlich. Keine Antwort kam über seine Lippen. »Ich weiß nicht, wie viele fehlen. Aber es sind viele. Suljaana ist auch
Weitere Kostenlose Bücher