0282 - Amoklauf der Amazone
anfliegenden Ohnmacht wieder die guten Saiten in seinem Inneren zum Klingen gebracht. Es war ihm nicht möglich, die ohnmächtige Tina Berner für die seelischen Grausamkeiten büßen zu lassen, die ihm die Mädchen in seiner Heimat angetan hatten.
»Ich… Ich danke vielmals, mein edler Beschützer!« sagte Tina Berner leise. Ihr Innerstes sagte ihr, daß in diesem häßlichen Körper eine gute Seele wohnte.
»Edler Beschützer hat sie gesagt…!« hauchte Tersithes. »Nie zuvor hörte ich solche Worte. Stets wichen die Mädchen vor mir kreischend zurück!«
Tina Berner verstand. Sie ahnte, was dieser Unglückliche in seinem Leben unter seiner Häßlichkeit gelitten hatte. Und sie überwand ihren Ekel, der in ihr aufkroch, um etwas Balsam auf das Gemüt des Unglücklichen zu legen und sich auf ihre Art zu bedanken, daß dieser Grieche ihren wehrlosen Zustand nicht so ausgenutzt hatte, wie sie es im Traum verspürte.
Tina Berner stand auf und küßte den häßlichsten Mann des Griechenheeres auf die Wange. Instinktiv legte Tersithes die beiden Hände um ihre schlanken Hüften.
In diesem Augenblick spürte Tina Berner, wie sie zurückgerissen wurde. Aufschreiend landete sie zwischen den Polstern des Lagers.
Zornbebend stand Achilles mitten im Zelt. Zwei, drei Mal klatschte die flache Hand in das Gesicht des Thersithes. Heulend stürmte der Grieche aus dem Zelt.
»Aber er hat doch nur… !« stieß Tina Berner hervor. »Er wollte doch nur… Ich habe doch… !«
»Ich kenne Tersithes!« fauchte das Mädchen, das Achilles war. »Hätte ihn der Odysseus doch damals erschlagen, als er ihn nur mit seinem Fürstenszepter verprügelte. - Schweig! Kein Wort mehr über diesen Verworfenen. Bei meinem Zorn - kein Wort mehr! Er ist es nicht wert!«
Erschrocken schwieg Tina Berner. Sie erkannte, daß Achilles rasend vor Zorn war und dem Tersithes sonst nachgerannt wäre, um ihn zu töten.
»Du gehörst mir - zu mir!« sagte Achilles bestimmt. »Nicht in der Form, wie einst Patroklos und ich zusammengehörten. Doch wir haben sehr viel gemeinsam, Tina. Beide haben uns die Götter des Olymps zum Kampf geschaffen. So laß uns gemeinsam die Feinde Griechenlands in den Staub werfen. Du hast versprochen, meine Rosse zu lenken. Vergaßest du es?«
»Nein!« schüttelte Tina Berner den Kopf. »Aber das Erlebnis in der letzten Nacht… Ich kannte dein Geheimnis nicht… Zamorra hat nie darüber geredet!«
»Niemand im Heer der Griechen darf es erfahren!« raunte das Mädchen, das Achilles war. »Sie brauchen Heldengestalten, die vor ihnen herziehen. Und die Kunst des Odysseus hat mir eine Rüstung verschafft, in der mich kein Feind besiegen kann. Doch wüßten die Griechen, daß ich ein Mädchen bin, würden sie mir nicht folgen, wenn ich ihnen voran in die Reihen der Feinde eile und die Hunde des Krieges loslasse!«
»Aber ich habe keine solche Rüstung!« sagte Tina Berner.
»Ich habe eine Rüstung, die dir vorzüglich passen wird!« schob Achilles ihre Bedenken beiseite. »Sie ist sehr fest gearbeitet, und außerdem werden die Wagenlenker nicht von den Kriegern angegriffen. Das verbietet die Ehre der Kämpfer. Ich habe Zamorra gebeten, dicht an unserer Seite zu bleiben, wenn wir im Vordertreffen sind. Dieser Mann verfügt über besondere Kräfte. Er wird dir helfen, wenn dich die Feinde bedrängen!«
»Ja, Zamorra ist ein Kämpfer, auf den man sich verlassen kann!« nickte Tina Berner.
»Dann komm zum Frühmahl in mein Zelt!« befahl Achilles und erhob sich. »Meine Diener schirren Baiion und Xanthos, meine Rosse. Bevor die Trojaner auf dem Kampfplatz erscheinen, fahren wir zum Grabe des Patroklos, um des Toten dort zu gedenken. Und dann… Auf in die Schlacht!«
***
»So, Glauke!« zischte Carsten Möbius, als sie nur noch drei Bogenschuß weit entfernt vor den Mauern von Troja in einer Bodenmulde notdürftig Deckung gesucht hatten. »Nun lauf zum Tor, und spiel deine Rolle glaubhaft. Denk an den Eid, den du geschworen hast. In der nächsten Nacht werden wir an diesem Teil der Mauer darauf warten, daß du uns von oben ein Seil zuwirfst und… !«
Schriller Hörnerklang unterbrach ihn. Knarrend wurden die mächtigen Flügel des skäischen Tores aufgeschoben. Die aufgehende Morgensonne ließ Rüstungen wie getriebenes Silber schimmern.
»Das Feldzeichen… Die Standarte der Amazonen!« brach es aus Glauke hervor. »Es ist Penthesilea, unsere Königin selbst, die den Trojanern voranreitet. Ha, seht nur, wie Boreas, ihr
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