0285 - Parkweg des Grauens
sehr verdächtig. Packen Sie jetzt endlich Ihre Sachen ein.«
Miss Realy gab sich Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Nur manchmal hörte man ein schwaches, kaum wahrnehmbares Schluchzen, als sie ein kleines Köfferchen mit dem Notwendigsten packte.
Wenig später verließen wir mit Miss Realy die Wohnung. Aus der Küche hörte man das Klappern von Töpfen. Wenigstens eine Untugend schien Mrs. Stornes nicht zu besitzen: Sie war offenbar nicht neugierig.
Das Auto gehörte zum Wagenpark der Mordkommission. Phil stieg mit dem Mädchen auf den Rücksitz. Ein junger Kriminalbeamter saß am Steuer. Er sah das Mädchen einmal rasch an, wobei Miss Realy heftig errötete, dann wandte er sich wieder dem Steuer zu. Lieutenant Anderson kam als Letzter.
Man fuhr zu den Büros der Mordkommission. Anderson ließ das Mädchen zu einer Vernehmung in sein Zimmer bringen. Er selbst aber blieb mit Phil noch im Vorzimmer zurück.
»So, jetzt wollen wir das merkwürdige Päckchen einmal genauer untersuchen«, sagte Anderson. Er legte den beschlagnahmten Fund auf seinen Schreibtisch.
Auf eine dünne Eisenplatte war mit durchsichtigem Klebestreifen ein in graues Papier gefülltes Päckchen aufgeklebt, das etwa die Größe einer Zigarettenschachtel hatte.
»Ich bin gespannt, was drin ist!«
»Ich auch«, gab Phil zu.
Anderson nickte.
»Irgendwie hat das Ding etwas mit Harpers Tod zu tun, davon bin ich fest überzeugt!«
Phil nickte. Er war der gleichen Auffassung.
***
Ich ging zur 94th Street und suchte die Pension Wool, von der der Kneipenwirt gesprochen hatte. Sie war nicht schwer zu finden, denn ein großes Reklameschild konnte man schon weit vor dem Haus erkennen. Ich stieg die Treppen in die zweite Etage hinauf und drückte den Klingelknopf nieder.
Eine Lady von sechzig Jahren öffnete höchstpersönlich die Tür. Sie trug ein altmodisches Hauskleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Eine ellenlange Perlenkette wand sich in drei Windungen um den Hals und klirrte leise, wenn sich die Lady bewegte. Zu allem Überfluss hielt sie ein Lorgnon in der Rechten und musterte mich durch die Gläser wie einen schlachtreifen Ochsen.
»Ich heiße Jerry Cotton und bin Beamter der Bundespolizei. Hier ist mein Dienstausweis. Sind Sie Mrs. Wool?«
»Die bin ich«, nickte sie mit der Würde eines Paschas. »Bundespolizei? FBI? Mein Gott, junger Mann, bei mir geht doch alles peinlich korrekt zu! Was habe ich denn verbrochen?«
»Madam«, sagte ich, »es wird vielleicht am besten sein, wenn wir nicht gerade im Treppenhaus unsere Unterhaltung führen.«
»Oh, ja, natürlich! Entschuldigen Sie! Das macht der Schock. Ich bin sonst nie so unhöflich, Besucher vor der Tür stehen zu lassen. Bitte, Mister Cotton, treten Sie ein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich vorher die Schuhe gründlich auf dem Abtreter säubern würden.«
Ich verbiss mein Grinsen und rieb mit enormem Energieaufwand meine tadellos blanken Schuhe zwei Minuten auf dem dicken Abtreter. Danach wagte ich es, über die Schwelle zu treten.
Ich wurde in ein altmodisches Zimmer geführt und genötigt, Platz zu nehmen.
»Bitte, Mister Cotton, ich bin gespannt, was Sie mir zu sagen haben!«
»Zunächst bitte ich um Entschuldigung für mein Eindringen«, sagte ich. »Ich möchte aber hinzufügen«, fuhr ich fort, »dass ich nur meine Pflicht tue.«
Mrs. Wool zeigte Spuren von Wohlwollen.
»Es handelt sich um einen Herrn, von dem wir hörten, dass er bei Ihnen wohnt, Madam!«
»Und wer ist es?«
»Mister Harper, Bill Harper.«
»O ja, Mister Harper. Er wohnt seit vier Monaten bei mir. Ein sehr ruhiger, höflicher und ordentlicher Gast. Ich habe niemals Schwierigkeiten mit ihm.«
»Empfing er Besuche?«
»In seinem Zimmer? Wo denken Sie hin! Besuche in den Zimmern meiner Gäste werden nicht geduldet! Ich bin eine ordentliche Frau!«
»Bekam Mister Harper oft Post?«
»Nein!«
»Wovon lebte Mister Harper eigentlich?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis, Mister Cotton. Ich weiß nur, dass er pünktlich zum Ersten und Fünfzehnten den Pensionspreis für die kommenden halben Monate im Voraus entrichtete.«
»Zahlte er bar, oder gab er Ihnen einen Scheck?«
»Er gab mir immer einen Scheck für die First National. Das war für mich sehr bequem, denn die Bank hat im Nachbarhaus eine Filiale, wo Mister Harper sein Konto hat.«
»Ich fürchte, Madam«, sagte ich langsam, »ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Mister Harper ist tot.«
»Tot?«,
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