0287 - Herrscher über tausend Geister
willst du das wissen?«
»Weil ich es mir zurückholen werde.«
Der Indianer lachte spöttisch.
»Welcher Stamm seid ihr?« fragte Zamorra.
Der Rote antwortete nicht und setzte seinen Weg fort, um seine Beute in Sicherheit zu bringen. Zamorra drehte den Kopf und sah, daß Nicole wach war. Sie war wie er gefesselt, und in ihrem Lederhemd befand sich ein langer Riß.
»Ich glaube, der Centurio ist nicht der einzige, der in eine andere Zeit geschleudert wurde, Chef«, sagte sie. »Uns hat es genauso erwischt. Schön, daß du wieder wach bist. Ich liebe dich.«
»Wen sonst?« murmelte Zamorra überzeugt. Dann zwang er sich zu einem Lächeln. »Egal, was passiert ist und wo wir sind. Wir kommen hier schon wieder raus?«
»Es sind Comanchen«, sagte Nicole.
»Woher willst du das wissen?«
»Jeder Stamm hat seine kleinen Eigenheiten. Hier ist es die Art, wie sie ihren Perlenschmuck anfertigen«, sagte sie. »Es sind Comanchen. Zu welchem Unterstamm sie gehören, kann ich dir allerdings nicht sagen. Ich denke, wir haben Glück gehabt.«
»Wieso?«
»Wenn es Winnetous Mescalero-Apachen wären, wären wir schlimmer dran. Die waren in Wirklichkeit nämlich gar nicht so edel, wie Karl May sie immer schilderte. Sie waren die größten Folterknechte unter Amerikas Sonne, Diebe und Plünderer, feige und verschlagen…«
»Du scheinst dich da ja gut auszukennen.«
Nicole lächelte. »Andere Leute schauen sich die Western nur im Kino an. Und dann gibt es Leute, die sich darüber hinaus auch noch mit der Geschichte des sogenannten Wilden Westens befassen. Zu denen zähle ich mich. Es ist zwar schon lange her, aber einiges ist mir doch noch im Gedächtnis haften geblieben. So zum Beispiel, daß unsere fünfköpfige Reitertruppe wohl die einzige und komplette Kavallerieabteilung dieses Dorfes sein dürfte. Comanchen hielten nämlich nicht sonderlich viel vom Reiten, waren dafür aber gute und ausdauernde Langläufer. Die Pferde haben sie viel lieber aufgefressen.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Deine Geschichtskenntnisse in Ehren, aber das hilft uns nicht viel weiter. Ich möchte wissen, was sie mit uns vorhaben. Und warum sie uns überhaupt erst gefangengenommen haben. Hoffentlich halten sie uns nicht für eine besondere Abart ihrer schmackhaften Pferde.«
Ein lautes Grunzen ertönte. Der Centurio geruhte aufzuwachen.
»Erklär du ihm, wo wir sind«, bat Zamorra. »Ich versuche, das Amulett zurückzubekommen, in der geheimen Hoffnung, daß es ausnahmsweise einmal funktioniert.«
»Okay…« Und Nicole wandte sich dem Römer zu, um ihm klarzumachen, daß er sich nicht nur in einer noch unentdeckten fremden Welt, in seiner Zukunft, befand, sondern auch noch in Gefangenschaft. Währenddessen versetzte sich Zamorra in Halbtrance. Er tastete mit geistigen Fühlern nach dem Amulett.
Früher einmal hatte er es rufen können. Auf einen konzentrierten Gedankenbefehl hin glitt es selbst über größere Entfernungen sekundenschnell auch durch feste Wände hindurch in seine Hand. Aber das ging jetzt nicht mehr. Das Amulett hatte zu starke Veränderungen erfahren.
Und es entwickelte ein seltsames Eigenleben. Manchmal hegte Zamorra den Verdacht, daß Merlins Stern ein eigenständiges, mit den Launen einer mürrischen Katze ausgestattetes Lebewesen war. Seit Leonardo de Montagne es eine Zeitlang für sich benutzt hatte, mußte Zamorra sich fast alle magischen Funktionen umständlich neu erarbeiten, und nicht selten erhielt er böse Rückschläge. Dann nämlich, wenn Merlins Stern sich gegen ihn selbst stellte…
Rufen, zu sich holen, konnte er Merlins Stern nicht mehr. Aber vielleicht gelang es ihm, das Amulett irgend etwas tun zu lassen…
Er jagte seine geistigen Befehle hinaus. Und er fühlte, wie die Verbindung zustande kam…
Irgendwo zwischen den Zelten ertönte ein wilder Aufschrei. Jemand verfluchte die bösen Geister und schrie nach Häuptling und Medizinmann.
Zamorra sah halb bewußt, halb in Trance blaugrünen Feuerschein und verzerrte Gesichter irgendwo in der Ferne. Er hörte Stimmen, die aufeinander einredeten. Und plötzlich tauchten zwei Männer auf.
Zamorra löste seine Halbtrance etwas, behielt das Amulett aber weiter im Griff. Irgendwo auf einem zweiten Gleis seines Denkens sah er weiter das grünblaue Feuer des Amuletts.
Er erkannte den Comanchen wieder, der ihm Merlins Stern geklaut hatte. Dessen linke Hand war grün verfärbt und leuchtete hell in der Nachmittagssonne. Der andere war mit einer
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