0287 - Sein Mörder war schon unterwegs
Beschuldigungen, die gegen Sie erhoben werden, sind so schwerwiegender Natur, das müssen Sie doch zugeben, die könnte der gemeinste Staatsanwalt nicht einfach aus dem Ärmel schütteln!«
»Sir, ich sage Ihnen doch: Jemand will mich fertigmachen!«
»So etwas hat es schon gegeben«, räumte ich ein. »Aber wer soll das sein, Sergeant?«
Er zuckte die Achseln. Man brauchte nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass er am Ende war. Der Zusammenbruch konnte in jeder Minute kommen. Seine Hände zitterten schon.
»Haben Sie denn gar keine Ahnung, wem Sie mal so kräftig auf den Schlips getreten sein könnten, dass er sich jetzt auf so eine gemeine Tour bei Ihnen revanchieren will?«
Wieder schüttelte er stumm den Kopf. Ich stand auf, um mir einen Schluck Scotch zu holen. Dabei sagte ich: »Hören Sie, Sergeant! Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie ein Mörder sind. Obgleich man auf Gefühle und Aussehen nichts geben soll. Aber ich kann im Augenblick beim besten Willen nichts für Sie tun. Ihr Schwager erwartet von uns, dass wir seine Tochter finden! Verstehen Sie, was das heißt? Wir sind zur Hälfte mitverantwortlich für das Leben eines kleinen Kindes. Für die Tochter Ihres Schwa…«
Ich brach mitten im Wort ab und blickte geistesabwesend auf das Whiskyglas, das ich in der Hand hielt. Mir war plötzlich etwas aufgefallen. Etwas Verrücktes, ja, aber welches Verbrechen wäre schon normal?
Entgegen meinem ursprünglichen Vorsatz nahm ich noch ein zweites Glas und schenkte uns ein. Eins brachte ich dem Sergeanten, das andere nahm ich selbst.
»Trinken Sie mal einen Schluck«, forderte ich ihn auf. »Ich fürchte, Sie haben es nötig.«
Er zögerte, dann kippte er den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter. Er schüttelte sich ein bisschen.
»Das tat wirklich gut«, murmelte er. »Ich habe mich doch in keine Kneipe getraut, weil ich dachte, sie brächten vielleicht schon mein Bild und meine Beschreibung durchs Fernsehen und im Radio.«
»So schnell geht das nicht«, wehrte ich ab. »Wie lange sind Sie eigentlich schon verheiratet, Sergeant?«
»Sechs Jahre, Sir.«
»Und Sie vertragen sich gut mit Ihrem Schwager, ja?«
»Oh, ja, Sir. Robert ist ein feiner Kerl. Er hat einen Spleen für klassische Musik, wo ich nicht folgen kann, aber sonst ist er ein prächtiger Bursche. Bestimmt, Sir!«
Ich nippte an meinem Whisky und zündete mir die nächste Zigarette an.
»Wenn ich nur wüsste, wer Sie beim Staatsanwalt in die Tinte geritten hat«, murmelte ich. »Dann könnte man schon weitersehen.«
»Wegen der Bestechung oder wegen des Mordes?«
»Von allem beiden.«
»Wer das mit dem Mord aufgebracht hat, weiß ich nicht, Sir. Aber die Geschichte von meiner angeblichen Bestechlichkeit hat ein gewisser Stanley Kenton beim Staatsanwalt aufgebracht. Sein Spitzname ist ›Sticky‹, wenn ich mich recht erinnere.«
Er sagte es in aller Unschuld. Dabei hatte er mir plötzlich den Schlüssel zu einer ganzen Reihe von Rätseln überreicht.
***
Die Tür ging auf. Berta Right hob den Kopf. Ihre Lippen lagen härter aufeinander als sonst und wirkten dadurch schmaler, als sie in Wirklichkeit waren. Ihr ganzes Gesicht bekam einen Zug von trotziger Entschlossenheit.
Der Mann in der Tür stutzte einen Sekundenbruchteil, dann wich er erschrocken einen Schritt zurück.
»Du?«, sagte er.
Seine Stimme klang rau und brüchig. Seine Augen hatten sich geweitet. Berta Right nickte langsam.
»Ja, ich. Soll ich hier draußen stehen bleiben?«
»Entschuldige«, sagte der Mann und zog die Tür noch weiter auf. »Bitte komm herein! Möchtest du ablegen?«
»Jedenfalls möchte ich mich nicht in einem durchnässten Mantel auf deine Plüschmöbel setzen«, erwiderte Berta Right leichthin, während sie sich in dem geräumigen Zimmer umsah. »Es hat sich nichts verändert hier.«
»Nein«, sagte der Mann. »Es hat sich nichts verändert. Schließlich habe ich sechs Jahre lang die Miete dafür bezahlt, damit niemand ein Recht hatte, etwas zu verändern.«
»Du hast in all den Jahren hier die Miete weitergezahlt?«, fragte Berta überrascht.
»Ja«, sagte der Mann und nahm ihr den Mantel und die Handtasche ab. Er brachte sie in einen Nebenraum. Berta wusste, dass dort eine kleine Küche war, und weil der Mann keinen Flur in seinem Apartment hatte, brachte er die Überkleidung seiner Gäste immer in die Küche, wo er sich einen Garderobenhaken aufgehängt hatte. Selbst seine Gewohnheiten haben sich nicht geändert, dachte sie.
Als er
Weitere Kostenlose Bücher