029 - Der tätowierte Tod
Gesicht, als sie wieder einmal hysterisch zu schreien begann. Barbara versuchte sie zu trösten. Aber Ginger war wie vor den Kopf geschlagen. Es schien, als könnte sie sich von Paul nicht trennen.
Fester hatte den einzig richtigen Vorschlag gemacht. Man mußte sich Pauls Leiche vom Halse schaffen. Der Vorschlag, ihn im Hafen zu versenken, wurde von den meisten abgelehnt. Paul sollte – das waren sie allein Ginger schuldig – ein Begräbnis erhalten und auf einem ordentlichen Friedhof eine letzte Ruhestätte finden. Und was machte es schon, daß es sich um einen mohammedanischen Friedhof handelte? Es gab nur einen Gott, und vor dem waren alle gleich.
Es dauerte etliche Stunden, bis sie Stambul und dann auch Fatih hinter sich gelassen hatten und schließlich nach Eyüp kamen. Sie waren schon lange nicht mehr hier gewesen. Was hatten sie hier auch verloren? Alle fühlten sich ausgelaugt, als sie den Friedhof erreichten, der zu den heiligsten der Mohammedaner zählte. Am schlimmsten ging es Herbert, der trotz seiner schlechten Verfassung darauf bestanden hatte, sie zu begleiten.
Einige von ihnen sahen zum erstenmal einen mohammedanischen Friedhof und verstanden nicht, warum jedes Grab zwei Grabsteine besaß und was die Symbole darauf zu bedeuten hatten. Cemal erklärte es ihnen.
Der höhere Grabstein, der am Kopfende des Toten stand, zeigte stets das Geschlecht und den Rang des Verstorbenen an. Die Frauengräber zierten Blüten oder Muscheln. Die Männergräber schmückten dagegen die Kopfbedeckungen der Toten. Das konnte ein Turban oder ein Fes sein. Seit Abschaffung dieser Kopfbedeckungen hatten die Grabsteine nur noch ornamentale Kopfstücke.
Herbert schleppte sich zu einem Grab, dessen Steinplatte wackelte.
»Die Platte müßte eigentlich leicht abzuheben sein«, murmelte er. Sein Gesicht war bleich, und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er stellte sich auf die Platte und verlagerte sein Gewicht, so daß sie sich wie eine Wippe bewegte.
»Du Narr!« herrschte ihn Cemal an. »Siehst du denn nicht, daß der Turban auf dem Grabstein seitlich versetzt ist?«
»Na und?«
»Das bedeutet, daß der Tote geköpft worden ist.«
Herbert wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Ginger jammerte und weigerte sich, Paul zu einem Geköpften ins Grab zu legen.
Cemal war es, der ein würdigeres Grab aussuchte. Er sagte, daß der Turban mit den vielen Troddeln und den Rangabzeichen anzeige, daß hier ein hoher Würdenträger begraben wurde, ein Partner für Paul.
Sie schickten sich an, die Grabplatte abzuheben. Lester kam mit einer Eisenstange, die er irgendwo abmontiert hatte, und mit diesem Hebel ging es dann schneller. Als die Grabplatte abgehoben war, wollten sie Paul holen. Aber Ginger, die ihn aus den Fetzen gewickelt hatte, war von ihm einfach nicht wegzubringen. Sie klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn und erklärte vollen Ernstes, sie wollte mit ihm gehen.
Lester zerrte sie schließlich gewaltsam von Paul fort, und zwei andere hielten sie fest, während die anderen Paul zu seiner letzten Ruhestätte brachten. Es war eine ergreifende Zeremonie, und jeder dachte in diesem Augenblick, daß es ihm hoffentlich einmal vergönnt war, ein ähnlich feierliches Begräbnis zu bekommen.
Herbert flennte. Barbara mit ihm. Cemal wurde dazu bestimmt, die Grabrede zu halten. Ginger Fairy hatte sich beruhigt. Jetzt standen alle im Bann dieses feierlichen Moments. Lester wollte mit einem anderen zusammen Paul gerade in die Gruft hinunterlassen, als sich Paul auf einmal bewegte. Aus seiner Kehle kam ein schauriges Röcheln. Das war so unheimlich, daß selbst Lester, der sonst vor nichts Angst hatte, die Beherrschung verlor.
Nur Ginger reagierte anders. »Paul!« rief sie verzückt. »Paul, du lebst!«
Paul erhob sich, etwas ungelenk zwar, als sei er durch das lange Liegen eingerostet, aber er kam auf die Beine. Und dann stand er hochaufgerichtet da.
»Ich bin nicht tot«, verkündete er mit einer unheimlichen, hohl klingenden Stimme und breitete die Arme aus. »Ich habe nur geruht, um Kräfte für meine Aufgabe zu sammeln, für die mich mein Herr bestimmte.«
Die anderen drängten sich in einiger Entfernung von ihm dicht zusammen. Barbara biß sich wie eine Irre in die Faust.
»Paul!« sagte Ginger wieder. »Ich wußte, daß ich dich nicht verloren habe.«
Er wandte sich ihr zu und blickte sie aus tiefliegenden Augen an. »Und doch hast du mich verloren – an den mächtigen Archonten Srasham. Ihr alle
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