0290 - Verhext, verflucht, getötet
nur bis auf die Knie. Auf denen mußte er rutschen, um das Heptagramm zu erreichen. Sie demütigte ihn absichtlich. Er sollte aus dieser Auseinandersetzung eine bittere Lehre ziehen, sollte es kein zweites Mal wagen, sie anzugreifen. Er hatte vor ihrer Macht zu zittern.
Er drehte den maskierten Kopf. Seine Augen suchten den Prydo. Er erschrak, als er sah, daß sie ihn jetzt hielt.
»Nein«, sagte sie nur. »Nie wieder, Verschwinde.«
Er erreichte das Heptagramm.
»Nimm dich in acht«, flüsterte er haßerfüllt. »Ich werde dich vernichten. Das ist keine Drohung - sondern eine Feststellung.«
Um ihn flammten die Linien und Zeichen wieder auf. Die Magie erfaßte ihn und schleuderte ihn dorthin zurück, woher er gekommen war. Sein Wutschrei verhallte.
Lilian Thorn löschte das Heptagramm und wog den Prydo nachdenklich in der Hand. Dann verließ die Große den unterirdischen Raum. Sie hatte gesiegt, aber sie wurde ihres Sieges nicht froh. Ungewißheit blieb. Wer war dieser Mann, der aus dem Nichts erschienen war, aus einer anderen, fremden Welt?
Sie betrat wieder ihre Wohnung, legte Kutte und Maske ab und schob den Prydo zum Flugbesen in die Zeitfalte. Dort war er vorläufig sicher. Sie selbst konnte nichts mit ihm anfangen, da er auf den Geist seines bisherigen Besitzers verschlüsselt war.
Lilian Thorn sandte eine Nachricht zu den anderen Großen dieser Welt. Sie mußten erfahren, was sich abgespielt hatte, daß ein Großer einen anderen angriff, um ihn aus seiner Position zu verdrängen.
Nachdem sie ihrer Pflicht in dieser Form genügt hatte, widmete sie sich wieder ihrer anderen Tätigkeit. Sie nahm einen Lappen Wolfsleder, zeichnete mit Blut bestimmte Symbole darauf und setzte das Leder dann in Brand. Als die Asche auf die Tischplatte regnete, bildete sie Zeichen. Die Hexe las in ihnen wie in einem Buch.
Sie lächelte, erschöpft von Kampf und Zauberei, aber zufrieden. Der Mann, der ihr so dicht auf der Spur war, dieser Inspektor Kerr von Scotland Yard, würde nicht mehr lange leben. Er wußte noch nicht, wer hinter den Zaubermorden steckte, aber er wußte um die Fetische des Todes. Und jetzt würde er selbst einem zum Opfer fallen. Der Fetisch des Todes, die daumengroße Holzfigur, hatte ihre Tätigkeit bereits begonnen, und der Schatten des Todes hing drückend über Kerr.
Sein Tod war nur noch eine Frage der Zeit.
***
Babs betrat das Wohnzimmer, totenblaß. »Seht euch das an«, bat sie. »Kerr, bleib hier. Für dich ist das nichts.«
Er sah sie alarmiert an. »Nanu, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Seit wann pflegst du Geheimnisse vor mir?«
»Bitte, Kerr… Bleib erst einmal hier!«
Zamorra erhob sich. Nicole folgte ihm. Zu dritt betraten sie das Schlafzimmer. Babs fürchtete im ersten Moment schon, die Figur könnte sich aufgelöst haben, so wie spukhafte Erscheinungen dies zuweilen taten, um ihre Entdecker zu narren und unglaubwürdig werden zu lassen.
Aber die kleine Figur war noch da.
»Sie ist immateriell«, sagte Babs. »Läßt sich nicht anfassen. Die Hand greift einfach hindurch wie durch Luft.«
Zamorra betrachtete das Objekt nachdenklich. Er hielt seine Hand darüber. Aber er fühlte nichts. Keine magischen Kräfte, die sich fühlbar entfalteten… Und doch mußten sie vorhanden sein… Zamorra öffnete das Hemd und nahm das Amulett ab. Er hielt es über die winzige Figur.
Es begann schwach zu leuchten.
Nicole pfiff durch die Zähne. »Es funktioniert wieder«, flüsterte sie überrascht.
Zamorra konzentrierte sich auf Merlins Stern und das, was er beabsichtigte. Er wollte versuchen, die Figur unschädlich zu machen. Was sie bedeutete, war ihm klar: Kerr sollte ermordet werden wie die anderen Opfer, deren Fälle er untersuchte. Wie die Figur hier hereingekommen war, war ein Rätsel. Fenster und Türen waren verschlossen gewesen…
Merlins Stern leuchtete unverändert und vibrierte jetzt kaum merklich, etwa wie die Flanken einer schnurrenden Katze. »Faß es an, Nici«, bat Zamorra.
Nicoles Hand glitt unter das Amulett. Leicht zuckte sie, als sie die Einwirkung des Kraftfeldes spürte. Ihre Finger berührten die Figur. Babs hielt den Atem an. Nicoles Finger gingen nicht durch die Figur hindurch, umschlossen sie.
»Hast du es?« fragte Zamorra, der von seiner Position aus nichts sehen konnte, da das leuchtende Amulett die Figur vor seinen Augen verbarg.
»Im Griff.«
»Zerbrich es.«
Nicoles linke Hand faßte ebenfalls zu. Sie nahm die Figur in beide Hände,
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