0292 - Satans Knochenuhr
der ausgebauten Dachkammer wurde es hell. Der Raum war eine Mischung aus Kino, Video-Zimmer und Bücherei. Hier fühlte sich die mehrfache Witwe Sarah Goldwyn wohl, denn das war ihr kleines Horror-Reich. Sie sammelte alles, was nur im entferntesten mit Grusel und Gänsehaut zu tun hatte. Da spielte es keine Rolle, ob es sich um Bücher oder Filme handelte. Ihre Videothek konnte sich sehen lassen. Dabei wußte sie, daß es den Horror nicht nur im Film gab. Auch in der Wirklichkeit existierte er, das hatte sie schon oft genug am eigenen Leibe erfahren müssen, und nicht umsonst zählte der Geisterjäger John Sinclair zu ihren besten Freunden. Und ihn mußte sie informieren.
Da sich über das Gesicht der Hexe das der Sheila Conolly geschoben hatte, mußte einfach eine tiefere Bedeutung haben. Das war nicht normal. Irgendwie war es anderen Kräften gelungen, in einen Fall einzugreifen, von dem die Horror-Oma noch nichts wußte.
Jedenfalls mußte John gewarnt werden.
Sie hatte lange nichts mehr von ihm gehört. Ein, zwei Telefonate und diese meist in Eile. Zuletzt hatten sie einen schrecklichen Fall in einem Altersheim erlebt.
Lady Sarah fühlte einen Kloß im Magen. Das machte die Aufregung, dagegen allerdings wußte sie ein gutes Mittel. Ob unten im Haus oder oben, sie hatte überall eine kleine Flasche von ihrem Speziallikör stehen. In einer Privatbrauerei holte sie sich ihn immer ab, und dieses Gebräu half gegen alles.
Ob Grippe, Magendrücken, Halsschmerzen, es war einfach fantastisch, und Lady Sarah trank es jedesmal mit Genuß.
Auch heute brauchte sie einen Schluck.
Das kleine Kristallglas stand ebenfalls bereit. Die Horror-Oma schenkte es voll, hob es an und nahm einen kräftigen Schluck. Zur Hälfte war das Glas leer.
Sie wartete eine halbe Minute und nahm den nächsten Schluck. Allmählich kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Sie drehte sich um, räusperte sich noch einmal und setzte die Brille auf, die an einer Kette um den Hals baumelte. Sie brauchte die Gläser, um Telefonzahlen erkennen zu können.
Die Nummer von Sinclairs Büro kannte sie auswendig. Da der Mittag gerade vorbei war, mußte John, falls er sich nicht auf einer Dienstreise befand, zu erreichen sein.
Von dem ruhigen Herbstwetter merkte Sarah Goldwyn unter dem Dach nichts. Sie hatte die Fenster abgedunkelt.
John Sinclair meldete sich persönlich, und die Horror-Oma wußte noch nichts, daß sie mit diesem Anruf eine Lawine in Gang gesetzt hatte…
***
Im Gegensatz zum freundlichen Herbstwetter zeigte mein Gesicht große Sorgenfalten. Es gab wirklich keinen Grund, freudig zu lächeln, in der letzten Zeit war einfach zu viel Schlimmes passiert.
Dabei dachte ich nicht einmal an die Sache in Deutschland und die geheimnisvolle Begegnung mit Morgana Layton, einer rätselhaften Werwölfin, für mich zählte nach wie vor, daß sich Sheila Conolly in den Krallen des Teufels befand und Bill, ihr Mann, im Krankenhaus lag, um seine Verletzungen auszukurieren, die er sich bei der Jagd auf den Golem zugezogen hatte.
Mein Freund Suko und dessen Partnerin Shao wohnten währenddessen im Haus der Conollys, um auf den kleinen Johnny achtzugeben. Zusammen natürlich mit Nadine, der Wölfin.
Auch sie war eine Wölfin. Wie Morgana Layton. Nur konnte man beide nicht miteinander vergleichen. Dennoch hatte ich das Gefühl, daß es irgendwann einmal zu einem Zusammentreffen zwischen ihnen kommen würde.
Will Mallmanns gute Wünsche hatten mich auf den Flug begleitet, und die konnte ich wirklich gebrauchen.
Der Himmel wirkte wie blankgefegt. Bunt schimmerte das Laub. Wärmende Sonnenstrahlen fielen in die Straßen und erfreuten die Menschen. Der Winter würde noch lange genug werden.
Sarah Goldwyn hatte mich schon entdeckt. Als ich durch den kleinen Vorgarten eilte, öffnete sie die Tür, streckte ihre Arme aus, umfing mich und drückte mich an sich.
»John, mein Junge«, sagte sie.
Dieses »mein Junge« war eine Standardbemerkung von ihr. Sie hatte mich wirklich in ihr Herz geschlossen, und auch ich mochte die alte Dame unheimlich gut leiden.
Sie besaß eine Aktivität, die ihre Ärzte sicherlich vor Rätsel stellte. Und wenn man über ihr Hobby nachdachte, konnte man nur den Kopf schütteln.
Welche 70jährige Frau beschäftigte sich schon mit gruseligen Dingen? Da gab es - wenn überhaupt - nur sehr wenige.
»Komm rein, John«, sagte sie, »komm rein«, ließ mich los, drehte sich dabei, und die zahlreichen Ketten, die um ihren Hals hingen,
Weitere Kostenlose Bücher