0297 - Der Verräter
rot, doch die Farbe trat langsam zurück, so daß sie mehr einem schwachen Rosa glich.
Einen Grund dafür konnte ich mir nicht vorstellen, da mußte ich einfach raten. Vielleicht hing es auch mit dem Töten der Vampire zusammen. Wenn sie zum Mond in einem unmittelbaren Zusammenhang standen, konnte meine Vermutung zutreffen.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Weg zu nehmen, der zum Totenacker führte. Dabei war ich mir sicher, daß Edda noch lebte. Die Vampire würden die Beschwörung nicht eher durchführen, bis die Gefahr meinerseits gebannt war. Eine Störung der schwarzmagischen Zeremonie konnten sie sich nämlich nicht erlauben.
Ein düsteres Gelände lag vor mir. Bäume und Sträucher hatten längst ihre Blätter verloren. Kahle Zweige breiteten sich aus. Sie bildeten ein seltsames Dach aus schwarzen Armen, unter dem ich herschritt.
Leichter Dunst hatte sich ebenfalls gebildet. Die feinen Schleier klebten zwischen den uralten Grabsteinen und hingen auch gespinstartig zwischen den Sträuchern.
Auf dem Weg lagen ebenfalls die fauligen Blätter. Die noch trockenen raschelten, wenn ich über sie hinwegschritt.
Plötzlich blieb ich stehen. Die Schwärze des Friedhofs war genau an einer Stelle aufgerissen worden. Sie befand sich dort, wo ich auch die Gruftöffnung wußte, und da schimmerte es rötlich.
Es war der Widerschein der Fackeln, der durch das offene Rechteck drang.
Gern hätte ich die Kräfte eines Herkules gehabt. Das war leider nicht der Fall, so mußte die Platte bleiben, wo sie war.
Ich ging ein wenig schneller. Wenn die Vampire die Gruft verließen, dann sicherlich durch die Öffnung, da dieser Weg am einfachsten und am kürzesten war.
Bis zu meinem Ziel kam ich nicht, denn nun trat das ein, was ich schon lange erwartet hatte.
Myxin meldete sich.
»He, John Sinclair!« vernahm ich seine laute Stimme, die über den Friedhof schallte.
Ich blieb stehen. Zuvor war ich einen Schritt nach rechts getreten, weil mir die Büsche dort eine einigermaßen sichere Deckung boten.
Von dort aus meldete ich mich.
»Was willst du?«
»Komm her, John!«
Ich lachte. »Wüßte nicht, was ich bei dir noch sollte, Magier?«
»Vielleicht nicht bei mir.« Myxin gab das Lachen zurück. »Aber ich habe hier jemand, der dir sicherlich sehr am Herzen liegt. Es ist ein Mädchen, die kleine Jungfrau, und sie vergeht fast vor Angst. Willst du ihr Schreien hören?«
Er hatte das Wort kaum ausgesprochen, als ich die Schreie vernahm. Laut und grell klangen sie über den alten Friedhof, und mein Magen zog sich zusammen.
Dann endeten sie.
Auf meinem Rücken hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Ich schluckte die unsichtbaren Klöße hinunter, während die Wut allmählich in mir in die Höhe stieg.
»Hast du sie gehört, John?«
»War ja laut genug«, gab ich gepreßt zurück.
»Dann ist alles klar. Komm her, denn sonst wird die Kleine sterben!«
Ich atmete zweimal tief durch, bevor ich meine Antwort gab. »Sicher, Myxin, du hast gewonnen. Ich werde kommen…«
***
Das Wort waffenlos hatte er nicht verwendet. Deshalb sah ich auch keinen Grund, die Beretta fortzuschleudern. Ich wußte nicht, wo sich Myxin aufhielt. Es konnte sein, daß er nahe der Gruftöffnung auf mich wartete. Jedenfalls würde er sich früh genug bemerkbar machen.
So ging ich weiter.
Ich fühlte mich wirklich nicht wohl in meiner Haut. Auch mein Gang war längst nicht so wie sonst. In meinen Knien fühlte ich das Zittern. Bald würde und mußte eine Entscheidung fallen, das stand hundertprozentig fest.
Nur – konnte ich sie zu meinen Gunsten verändern?
Als ich einen Blick nach links warf, stellte ich fest, daß der Fackelschein unruhiger geworden war. Für mich ein sicherer Beweis. Die restlichen Vampire hatten die Gruft verlassen. Da ich einige ihrer Artgenossen erledigt hatte, würden sie mich bestimmt mit besonderem Haß verfolgen. Mein Blut interessierte sie zwar nicht, doch mein Tod kam ihnen bestimmt sehr gelegen.
Sie machten es mir einfach.
Ich sah, daß sich der Fackelschein bewegte, vor mir die Umgebung ausleuchtete und sich dann auf einen bestimmten Fleck konzentrierte. Dieser Fleck befand sich auf dem Weg.
Dort erwartete man mich.
Es war Myxin, der da stand und mir entgegenschaute. Natürlich war er nicht allein. In seinem Griff krümmte sich Edda Kiss, Myxins Geisel. Er hatte sie hart umfaßt, so daß sie sich aus eigener Kraft nicht befreien konnte und vornübergebeugt stand, denn ihr Arm war in die Höhe gehebelt
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