0297 - Der Verräter
des Geschehens in einer wahren Rekordzeit.
Wurde dann allerdings langsamer, da mir der düstere Eingang wie eine Falle vorkam.
Es war leicht für meine beiden Gegner, sich irgendwo in dem dunklen Gebäude zu verstecken und auf mich zu lauern, deshalb wollte ich nicht wie ein Irrer vorstürmen.
Vorsichtig übertrat ich die Schwelle. Dicht dahinter blieb ich stehen. Meine Blicke bohrten sich in das Dunkel. Die Fackel, die hier gelegen hatte, war längst erloschen. Nur noch ein beißender Geruch schwängerte den Flur.
»Myxin!« rief ich. »Zeig dich endlich, damit wir es austragen können, verdammt!«
Meine Stimme hallte durch das zerfallene Gebäude, aber der Ruf wurde nicht erwidert. Es kam mir so vor, als wäre ich die einzige lebende Person innerhalb des Gebäudes.
Daran wollte ich einfach nicht glauben. Ich hatte mich nicht getäuscht. Der Ruf war hier aufgeklungen.
Oben oder unten?
Eine Frage, auf die ich sehr bald eine Antwort bekam, denn es drang ein Geräusch an meine Ohren, das mir einen kalten Schauer über den Rücken trieb.
Ein verzweifeltes Wimmern und Klagen. Dünn, allmählich verstummend, dann wieder zu hören, weil die kahlen Wände den Schall weitertrugen. Ich mußte abermals in die obere Etage, wenn ich der Ursache nachgehen wollte.
Um nicht zu stolpern, knipste ich meine kleine Lampe an. Während ich die alte Treppe hochstieg, hüpfte der Strahl über die Stufen, glitt höher und erreichte das Ende der Treppe, und das Wimmern drang mir nun lauter entgegen.
In der ersten Etage kannte ich die Räume. Ich wußte auch, in welchem die Särge standen.
Dort mußte ich hin.
Wohl war mir nicht bei der Sache, als ich durch den Gang schritt.
Mein Herz klopfte stärker als gewöhnlich. Die Angst hielt mich fest.
Noch zwei Schritte, dann hatte ich das Zimmer erreicht.
Ich drückte mich über die Schwelle, schwenkte meinen Arm nach rechts, der Strahl zerschnitt die Finsternis, wurde noch einmal bewegt und traf ein Ziel.
Im ersten Augenblick hatte ich das Gefühl, Mittelpunkt eines Alptraums zu sein.
Es war grauenhaft, was ich da zu sehen bekam. Mandraka und Myxin hatten Edda erwischt und in einen der beiden offenen Särge gelegt, als sie sie nicht mehr brauchten.
Sie lag auf dem Rücken. Arme und Beine hingen über den Sargrand. Als ich nähertrat, sah ich die dunklen Flecken auf dem Boden.
Eddas Blut.
Das Blut eines unschuldigen Mädchens.
Mein Gesicht verzerrte sich. Der Schauer auf dem Rücken wurde noch dichter. Ich fiel neben dem Sarg in die Knie und schaute in ein leichenblasses Gesicht, das im schmalen Lichtschein meiner Lampe wie das eines Gespenstes wirkte.
»John Sinclair!« hauchte Edda. »Sie… sie haben es geschafft!«
Ich gab keine Antwort, sondern handelte. Noch lebte Edda, und ich wollte, daß es auch so blieb.
Sie hatten sie nicht getötet. Den Grund wußte ich selbst nicht, aber ich mußte mich beeilen, sonst wäre sie verblutet. An den Armen hatte man ihr mehrere Schnitte beigebracht.
»Es war Myxin mit deinem Dolch«, flüsterte sie. »Ich… ich hatte keine Chance …«
Meine Jacke hatte ich bereits ausgezogen. Jetzt kam das Hemd an die Reihe. Es bestand aus dickem Stoff. Ich hatte Mühe, ihn in Fetzen zu reißen.
Zum Glück wird man als Polizeibeamter auch in Erster Hilfe ausgebildet. Das zahlte sich nun aus. So gut und fest es ging, verband ich die Wunden des Mädchens. Zuviel des kostbaren Lebenssaftes hatte sie schon verloren, es sollte nicht noch mehr hinzukommen.
Geschafft.
Als ich den letzten Knoten zuzog, atmete ich auf. Danach hob ich Edda aus dem Sarg.
Ich legte sie auf meine Arme und ging mit ihr in den Flur. Wir stiegen die Treppe hinab, verließen das Haus, und dort stellte ich fest, daß ich eine Ohnmächtige in den Armen hielt.
Ich dachte an Eddas Worte. Sie hatte mir mal erklärt, daß der nächste Ort sehr weit entfernt war. Bis zu ihm mußte ich sie tragen.
Bisher war mir das Pech treu geblieben. Diese Strähne wurde nun unterbrochen, denn ich fand einen alten Wagen. Er lief auf zwei gummibereiften Rädern. Ich bettete Edda darauf und machte mich auf den Weg.
Von Myxin und Mandraka sah ich nichts. Sie hatten ihr Ziel erreicht und das Blut eines unschuldigen Mädchens bekommen. Jetzt konnten sie ihren Plan in die Tat umsetzen und den Teufel so beschwören, daß er ihnen nicht mehr entkam.
Diese Gedanken beschäftigten mich, während ich durch die Nacht wanderte und dabei dem Morgengrauen entgegenging.
Sehr oft schaute ich nach Edda Kiss.
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