0299 - Der Schatten kommt auf leisen Sohlen
folgenden Text entnehmen kann, daß sie die richtige Schreibweise wahrscheinlich wußte. Ich fragte mich also, warum zuerst einmal das doppelte N? Dafür gibt es nur zwei Gründe. In ihrer Botschaft brauchte sie ein doppeltes N oder das Wort ›wenig‹ mußte um einen Buchstaben verlängert werden, so daß sie es etwa auch mit Doppel-E oder mit Doppel-I vor dem G hätte schreiben können. Bei dem ›zu‹ ist die Erklärung schon einfacher. Da das Wörtchen nur zwei Buchstaben hat, gibt es nur die Erklärung, daß sie anstelle des Z ein S brauchte. Jetzt kombinieren Sie mal selber, Phil!«
»Moggy, reden Sie hübsch weiter!«
»Aber das ist doch ganz einfach! Als Angelpunkt haben wir das S. Rückwärts gehend stoßen wir auf das Wort ›wenig‹, das offenbar um einen Buchstaben verlängert werden mußte. Wenn Sie vom E in ›wenig‹ bis zum S in ihrem ›su‹ zählen, kommen Sie auf S als den vierten Buchstaben. Da die Schreiberin aber ein N eingefügt hat, wird aus dem S der fünfte Buchstabe, wenn man vom E in ›wenig‹ ausgeht.«
»Warum gehen Sie nicht vom W aus?«
»Wenn W der Angelbuchstabe im Wort ›wenig‹ wäre, hätte die Schreiberin wahrscheinlich das nächstfolgende E verdoppelt, wenn sie einen Buchstaben mehr gebraucht hätte. Das ist nur eine Annahme, aber sie stützt sich auf Erfahrungstatsachen. Mithin hatte ich drei Dinge erkannt: In ›wenig‹ ist E der Angelbuchstabe, in ›su‹ das S und vom E aus ist das S der fünfte Buchstabe. Jetzt habe ich einfach mal probiert und vom Briefanfang her jeden fünften Buchstaben unterstrichen. Wissen Sie, was für Buchstaben unterstrichen waren?«
»Sagen Sie's schon, Moggy!«
»Hören Sie zu: a — l — l — e — s — o — k —. Das gibt natürlich keinen Sinn. Aber man braucht nur die Wörter ›aber Wynan‹ vom zweiten Briefabschnitt mitzunehmen, und schon erhält man nach dem Fünfersystem die beiden Wörter ›alles‹ und ›okay‹. Ich baute klein klein wennig su abnorm an Kelly aber Wynan… ergibt also okay. Der weitere Brieftext enthält nichts. Jetzt wissen Sie Bescheid. Bringen Sie mir das nächste Mal was Kniffligeres.«
»Wir werden uns Mühe geben«, versprach Phil, bedankte sich und legte den Hörer auf.
»Sieh mal an«, sagte ich. »Alles okay. Von Vera Crotts an Martin Delane ins Zuchthaus geschrieben. Hervorragende Dechiffrier-Experten scheinen die im Zuchthaus nicht zu haben.«
»Was meint sie? Was ist okay?«
Ich zuckte die Achseln.
»Eine Erklärung gäbe es, Phil: Die Bande brauchte Delane für einen Coup, den sie vorhat. Vielleicht heißt ›alles okay‹ schlicht und einfach, daß alle Vorbereitungen getroffen sind.«
Phil stieß einen Pfiff aus.
»Das würde ja bedeuten, daß die Bande in kurzer Zeit losschlagen wollte!«
»Ja. Jetzt ist nur die Frage, ob sie es auch ohne Delane kann oder nicht.«
»Nun, auf jeden Fall werden wir durch die Überwachungsabteilung rechtzeitig informiert werden, wenn die Bande sich entschließen sollte, ihren geplanten Coup jetzt auch ohne Delane auszuführen.«
Wir waren an unserem Ziel angelangt. Den Jaguar stellte ich kurzerhand auf dem Parkplatz ab, der Angehörigen der Stadtverwaltung reserviert war. Dann suchten wir das Vorzimmer des Oberbürgermeisters und klopften.
Eine weibliche Stimme rief: »Augenblick! Nicht eintreten! Ich komme!«
Wir hörten Schritte, die Tür öffnete sich, und dann zwängte sich eine Sekretärin heraus, wobei sie sich Mühe gab, die Tür schnell hinter sich zu schließen.
»Hallo«, sagte Phil. »Wir sind G-men. Darf ich vorstellen? Mein Name ist Decker. Das ist Mister Cotton. Unser Chef schickt uns her.«
»Gott sei Dank, daß Sie endlich da sind!« seufzte die Sekretärin. »Kommen Sie herein! Sie dürfen natürlich eintreten.«
Wir traten hinter der Sekretärin über die Schwelle.
Mitten in dem geräumigen Vorzimmer stand ein Sarg, um den herum noch ein paar Kistenteile lagen. Der Sargdeckel war umgekippt und lag daneben. Im Sarg aber befand sich die Leiche des Oberbürgermeisters.
***
Mrs. Holsten rief morgens gegen halb elf ihre Freundin Katherin Jones an.
Die beiden Witwen kannten sich schon lange.
»Guten Morgen, Katherin«, sagte Mrs. Holsten. »Wie geht es dir? Mir geht es gar nicht gut. Das Rheuma plagt mich wieder.«
»Du Arme! Dann ist es wohl besser, v;enn ich heute nachmittag nicht zum Tee komme, nicht wahr, Linda?«
»Nein, nein, so schlimm ist es nicht. Ich wollte dir nur sagen, daß ich heute nachmittag die Tür
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