0299 - Der Schatten kommt auf leisen Sohlen
auflasse. Ich werde dir nicht entgegenkommen. Mir macht jede Bewegung Mühe.«
»Bleibe in deinem Lehnstuhl, meine Liebe. Ich finde schon den Weg zu dir. Dann bleibt es also bei drei Uhr, ja?«
»Ja, Katherin. Habe ich dir übrigens schon erzählt…«
Vielleicht hätte sich die Unterhaltung den ganzen Vormittag hingezogen, wenn nicht die Türglocke von Mrs. Holsten angeschlagen hätte.
»Ach, du lieber Himmel, Katherin«, seufzte die alte Dame. »Ich glaube, es hat geklingelt. Ich muß wohl zur Tür gehen. Bis nachher.«
Mrs. Holsten legte den Hörer auf und nahm ihren Stock. Inzwischen hatte es ein zweites Mal geläutet.
»Ja, ja, ich komme schon«, murmelte die alte Frau und tappte zur Tür. »Bitte sehr?« fragte sie, als sie die Wohnungstür geöffnet hatte.
»Ein Päckchen für Sie, Ma‘am!« sagte der Mann von der Paketzustellung. »Bitte, hier unterschreiben.«
Er hielt ihr die Empfangsquittung hin. Mrs. Holsten unterschrieb.
»Ihr Päckchen, Ma‘am!« sagte der Mann und drückte Mrs. Holsten ein Kästchen von der Größe eines Zigarrenkästchens in die Hand.
»Danke sehr«, sagte die alte Dame freundlich. »Vielen Dank!«
Sie schob die Tür zu und begab sich zurück zu ihrem Lehnstuhl.
Woher das Päckchen wohl kommt? dachte sie. Ob Marry wieder einmal an ihre alte Mutter gedacht hat?
Sie begann an dem Klebestreifen zu zerren, der das Papier zusammenhielt. Aber der Streifen saß so fest, daß sie ihn nicht abziehen konnte.
Erschöpft ruhte sie einen Moment aus, bevor sie sich entschloß, die Schere aus dem Nähkästchen zu holen.
Als sie das Päckchen schließlich geöffnet hafte, fand sie zu ihrer großen Verwunderung ein Kästchen mit Pralinen.
Weder ein Brief noch eine Karte waren dabei.
Sie nahm den Deckel der Schachtel ab und betrachtete die Pralinen und griff mit spitzen Fingern zu.
Noch bevor sie eine Praline lutschte, klingelte es wieder.
Das muß der Bote vom Lebensmittelhändler sein, dachte Mrs. Holsten und legte seufzend das Stück in den Karton zurück. Mühsam ging sie, auf ihren Stock gestützt, zur Tür.
Es war wirklich der Bote des Lebensmittelhändlers.
Mrs. Holsten nahm die Lebensmittel in Empfang und gab dem Jungen, der sie gebracht hatte, das übliche Trinkgeld: fünfzehn Cent.
Jetzt endlich hatte die alte Dame Zeit, eine Praline zu kosten.
Sie kaute genußvoll.
Etwa dreißig Minuten später war sie tot.
***
»Die Kiste wurde uns von einer Spedition hier ins Rathaus gebracht«, sagte der Oberbürgermeister. »Sie können sich denken, wie wir alle erschrocken waren, als wir in der Kiste den Sarg fanden. Und noch mehr erschraken wir, als der Sargdeckel abgehoben wurde und wir eine Puppe fanden, die mir täuschend ähnlich nachgebildet war,«
»Der Kopf muß aus Wachs oder einer ähnlichen Masse hergestellt sein«, Sagte Phil. »Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Als wir ins Vorzimmer kamen, dachten wir tatsächlich, Sie selbst lägen im Sarg.«
»Das glaube ich gern. Meine Sekretärin meint nur, in Wahrheit sähe ich ein bißchen älter aus.«
»Welche Spedition brachte die Kiste mit dem Sarg?«
»Da müssen Sie meine Sekretärin fragen. Ich habe mich nicht nach der Lieferfirma erkundigt.«
»Das können wir nachher machen«, sagte Phil. »Haben Sie irgendeine Vermutung, wer Ihnen diesen mehr als albernen Streich gespielt haben könnte?«
Der Mayor zuckte die Achseln.
»Das ist schwer zu sagen«, brummte er. »Als Bürgermeister einer so großen Stadt erwirbt man sich geradezu zwangsläufig Feinde. Einmal sind da die politischen Gegner, die dieses Amt mit einem anderen Mann aus ihrer eigenen Partei besetzen möchten. Zum anderen gibt es natürlich auch in meiner Partei Rivalitäten. Und zum Schluß kommt dann noch die lange Reihe der Bürger, die da glauben, daß ihnen Unrecht widerfahren sei, wenn ich eine Entscheidung zugunsten der Allgemeinheit traf, die aber die Interessen eines einzelnen beeinträchtigte.«
»Das Angebot ist also sehr reichlich«, murmelte Phil.
»Ja, so kann man es nennen«, erwiderte der Mayor. »Aber im Grunde traue ich weder den Rivalen in meiner eigenen Partei noch den Gegnern im politischen Lager so etwas zu. Es ist zu geschmacklos.«
»Dann blieben also nur die Leute übrig, die sich von Ihnen als Bürgermeister ungerecht behandelt fühlen. Haben Sie da einen bestimmten anzubieten? Einen notorischen Querkopf?«
»Solche Leute werden mir gleich vom Halse gehalten. Aber warten Sie, ich will Dick Cummings danach fragen.« Der
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