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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sie etwas über diese Sache, Quilter?« fragte Lockwood. »Die Polizei ist der Auffassung, daß der Junge das Original entweder versteckt oder jemandem zur sicheren Aufbewahrung gegeben hat.«
    Chas richtete seine Antwort an Lockwood. »Warum hätte er das tun sollen?«
    Die Antwort gab Lynley. »Weil er glaubte, den ungeschriebenen Regeln der Schule folgen zu müssen.«
    »Was für Regeln, Sir?«
    Lynley fand die Frage unehrlich und ärgerlich. »Dieselben ungeschriebenen Regeln, die Brian Byrne veranlaßten, uns nur mit äußerstem Widerstreben zu sagen, wie oft Sie an dem Abend, als Matthew verschwand, die Fete des Oberstufen-Clubs verlassen haben. Dieselben Regeln, die wohl jetzt Grund für Ihr Widerstreben sind, uns etwas über das Band zu sagen.«
    Eine winzige Bewegung verriet den Jungen. Seine rechte Schulter zuckte zurück, wie von einer unsichtbaren Hand geschlagen. »Glauben Sie etwa, ich -«
    Lockwood mischte sich ein, mit einem zornigen Blick zu Lynley. Seine beschwichtigenden Worte gaben klar zum Ausdruck, daß das Verhalten der Söhne von geadelten Ärzten über jeden Vorwurf erhaben war, auch wenn ihre älteren Brüder sich als Kleptomanen entpuppt hatten. »Niemand glaubt irgend etwas, Quilter. Die Polizei ist nicht hier, um Sie zu beschuldigen.«
    Lynley hörte Barbaras unterdrückten Fluch. Er wartete ruhig auf Chas' Antwort.
    »Ich habe das Band heute zum erstenmal gehört«, sagte der Junge. »Ich habe Matthew Whateley nicht gekannt. Ich könnte Ihnen nicht sagen, wo er das Band hinterlegt hat, oder ob er es jemandem gegeben hat.«
    »Erkennen Sie die Stimmen?« fragte Lynley.
    »Nein. Ich kann nicht sagen -«
    »Aber es klingt doch, als handelte es sich um einen Jungen aus der Abschlußklasse, nicht wahr?«
    »Das ist möglich. Ja, wahrscheinlich. Aber es könnte praktisch jeder sein, Sir. Ich würde Ihnen wirklich gern helfen. Ich müßte es eigentlich können. Das weiß ich. Es tut mir sehr leid.«
    Es klopfte. Dreimal hintereinander kurz und leicht. Und schon öffnete sich die Tür. Elaine Roly stand auf der Schwelle, hinter ihr Lockwoods Sekretärin, die versuchte, sie zurückzuhalten. Aber Elaine Roly war nicht zu bremsen. Sie warf der Sekretärin nur einen vernichtenden Blick zu und marschierte schnurstracks zum Konferenztisch.
    »Sie wollte mich nicht hereinlassen«, sagte sie, »aber ich wußte, daß Sie das hier sofort würden haben wollen.« Sie zog etwas aus dem Ärmel ihrer Bluse. »Der kleine Harry Morant hat mir das heute morgen gegeben, Inspector. Er will nicht sagen, wo er es gefunden hat.
    Aber es ist sonnenklar, daß es Matthew Whateley gehört hat.«
    Sie warf eine Socke auf den Tisch. Chas Quilter zuckte zusammen.

    In der Bibliothek roch es nach frischen Bleistiftspänen und altem Papier. Der Bleistiftgeruch kam vom elektrischen Bleistiftspitzer, der von den Schülern mehr aus Lust und Spielerei benutzt wurde als aus Notwendigkeit. Der Papiergeruch kam aus den hohen Bücherregalen, die in regelmäßigem Abstand den Raum unterteilten.
    An einem der breiten Arbeitstische, die seitlich von den Regalen angeordnet standen, saß Chas Quilter, der nicht begreifen konnte, daß nicht einmal der Hauch eines Gefühls sich in ihm regte, während um ihn herum nach und nach seine ganze Welt zusammenbrach wie ein Haus, das, in Brand geraten, Stein um Stein Beute der Flammen wird. Er erinnerte sich eines lateinischen Satzes, den er neben vielen anderen in der vierten Klasse hatte auswendig lernen müssen. Nam tua res agilur, paries cum proximus ardet.
    Er flüsterte die Worte in den leeren lauschenden Raum. »Denn es geht dich an, wenn die Nachbarmauer Feuer fängt.«
    Wie beharrlich hatte er es vermieden, der Wahrheit dieses Spruchs ins Auge zu sehen! Es war, als sei er, ohne sich dessen bewußt zu sein, in den letzten sechzehn Monaten immer nur vor dem Feuer davongelaufen. Aber gleich, welchen Weg er eingeschlagen hatte, er hatte immer wieder nur zu einer neuen Feuersbrunst geführt.
    Die Flucht hatte im letzten Jahr mit dem Ausschluß seines Bruders aus der Schule begonnen. Er erinnerte sich lebhaft der Ereignisse: die Empörung seiner Eltern angesichts der Beschuldigungen gegen einen Sohn, dem es an nichts fehlte; Prestons zorniges Leugnen und seine erregte Forderung, man möge die Vorwürfe beweisen; seiner eigenen leidenschaftlichen Verteidigung des Bruders im Einklang mit teilnahmsvollen, aber skeptischen Freunden; und schließlich das Gefühl tiefster Erniedrigung, als sich

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