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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Kühlschrank. Kaum hatte er die Tür aufgezogen, war der Dackel schon schwanzwedelnd an seiner Seite. Sein Blick war von einer so tiefen Traurigkeit, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu fressen bekommen.
    »Du hast dein Fressen gehabt, Peach«, sagte St. James streng. »Wahrscheinlich doppelt und dreifach, wie ich dich kenne.«
    Ermutigt durch die Tatsache, daß man ihn wahrgenommen hatte, wedelte der Hund noch eifriger mit dem Schwanz. Alaska gähnte gelangweilt mit zusammengekniffenen Augen.
    St. James nahm ein Stück Käse aus dem Kühlschrank, holte sich ein Holzbrettchen und ging zur Arbeitsplatte unter dem Fenster. Peach folgte unverdrossen und mit wacher Aufmerksamkeit. Es könnte ja ein Krümelchen abfallen.
    Käse und Messer vor sich, starrte St. James zum Fenster hinaus in das Stück Garten, das von hier aus zu sehen war. Der Garten war nichts besonderes, aber Deborah hatte ihm, wie allem, was sie umgab, den Stempel ihres Wesens aufgedrückt.
    St. James faßte das Messer fester. Das Holz des Griffs schnitt ihm in den Handballen.
    Wie hatte es geschehen können, daß er einer Frau solche Macht über sein Leben gegeben hatte? Wie hatte es geschehen können, daß er ihr gestattet hatte, ihn in seiner schlimmsten Schwäche zu sehen? Denn sie hatte diese Schwäche gesehen, die sich in einem unerbittlichen Drang ausdrückte, der Beste in seinem Fach zu sein, bewundert und umworben zu sein, erste Kapazität, wenn es darum ging, einen Blutfleck, die Flugbahn einer Kugel, die Bedeutung gewisser Abschürfungen an einem Schloß oder einem Schlüssel zu interpretieren. Manche hätten sein Bedürfnis, in seinem Fach der Erste zu sein, als blinden, egoistischen Ehrgeiz bezeichnet. Deborah wußte die Wahrheit. Sie wußte, daß die Leere in ihm durch seine Arbeit gefüllt werden mußte. Er hatte ihr erlaubt, das zu erkennen.
    Sie wußte um seine Hilflosigkeit und um den Schmerz, der auch heute noch immer wieder seinen Körper überfiel. Sie hatte mitangesehen, wie ihr Vater ihm Elektroden an sein Bein legte, um dem Muskelschwund vorzubeugen. Sie hatte sogar gelernt, selbst mit den Elektroden umzugehen. Auch das hatte er zugelassen. Er hatte es sogar gewünscht, weil er ihre Nähe wünschte; alles, was er war, mit ihr teilen wollte; sich ihr ganz zu erkennen geben wollte. Das war der Fluch der Liebe. In den vergangenen achtzehn Monaten, seit sie verheiratet waren, hatte er sich wie ein unerfahrener Jüngling hingegeben, nichts zurückgehalten, sich nicht einmal einen Winkel in seinem Herzen bewahrt, in den er sich zurückziehen konnte. Weil er nicht geglaubt hatte, daß er je dies Bedürfnis haben würde. Jetzt bezahlte er dafür.
    Er war im Begriff, sie zu verlieren. Nach jeder vorzeitig abgebrochenen Schwangerschaft hatte sie sich eine Zeitlang in sich selbst zurückgezogen. Er hatte es verstanden. Obwohl auch er sich ein Kind wünschte, war seine Sehnsucht, das war ihm klar, mit der ihren nicht zu vergleichen. Darum war er bereit gewesen, ihr die Einsamkeit zu lassen, die sie für ihre Trauer zu brauchen schien. Anfangs hatte er nicht gemerkt, daß sie sich mit jeder Enttäuschung ein wenig weiter von ihm entfernt hatte. Er hatte die Wochen nicht gezählt und so nicht wahrgenommen, daß sie jedesmal etwas länger brauchte, um sich wieder zu finden, jedesmal einer längeren Zeitspanne bedurfte, um neue Hoffnung zu schöpfen. Diese vierte Fehlgeburt - dieser vierte Verlust eines noch ungeborenen geliebten Kindes - hatte nun das Schlimmste bewirkt.
    Er starrte auf das Messer, auf das Stück Käse. Unmöglich jetzt zu essen. Er räumte beides wieder weg, ging aus der Küche hinaus, die Treppe hinauf.
    Ihr gemeinsames Schlafzimmer war leer, ebenso die anderen Räume im ersten Stock. Er stieg noch eine Treppe höher und fand seine Frau in ihrem früheren Mädchenzimmer neben seinem Labor.
    Sie hatte die nassen Kleider abgelegt und sich einen Morgenrock übergezogen. Um das feuchte Haar trug sie wie einen Turban geschlungen ein Frottiertuch. Sie saß auf dem Messingbett ihrer Jungmädchenzeit und sah einen Stapel alter Fotografien durch.
    Einen Moment lang beobachtete er sie, ohne etwas zu sagen, und ließ ihr vom Lichtschein der Lampe umflortes Bild in sein Herz eindringen. Die Augen gesenkt, blickte sie auf ein Foto in ihrer Hand.
    Es verlangte ihn danach, sie in die Arme zu nehmen, ihre Lippen zu spüren, ihren Duft zu riechen, ihr leises Seufzen zu hören. Aber er hatte Angst, sich ihr zu nähern und sie damit

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