Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Tätowierung.
    »Ich bin Inspector Lynley, und das ist Sergeant Havers«, sagte der Kriminalbeamte.
    Harry hörte Papier rascheln. Die Frau blätterte in einem Block. Sie würde bestimmt alles mitschreiben.
    Harry zitterte am ganzen Körper. Er wußte, wenn er den Mund aufmachte, würde er anfangen, mit den Zähnen zu klappern, und statt zu sprechen, würde er heulen.
    »Miss Roly hat uns erzählt, daß du ihr diesen Strumpf gegeben hast«, sagte der Inspector. »Woher hast du ihn, Harry?«
    Irgendwo im Zimmer tickte eine Uhr. Komisch, dachte Harry, das hab ich das letzte Mal, als ich hier war, gar nicht bemerkt.
    »Hast du ihn in einem der Häuser gefunden? Oder irgendwo auf dem Gelände? Wann hast du ihn gefunden, Harry? Der Strumpf hat Matthew gehört. Das weißt du doch, nicht wahr?«
    Er hatte einen sauren Geschmack im Mund. Auf der ganzen Zunge bis hinunter zum Hals schmeckte es wie verfaulte Zitrone. Er schluckte, um den Geschmack wegzubringen. Der Hals tat ihm weh.
    »Hörst du Inspector Lynley eigentlich zu?« fragte Mr. Lockwood. »Morant, hörst du zu? Antworte dem Inspector, Junge. Auf der Stelle.«
    Im Rücken spürte er das harte Holz der Stuhllehne. Es drückte ihm in die Schulterblätter. Die Schnitzereien bohrten sich ihm ins Fleisch, und es tat weh.
    Mr. Lockwood sprach weiter. Harry hörte den Ärger in seiner Stimme. »Morant, ich habe nicht die Absicht -«
    Der Kriminalbeamte machte eine Bewegung mit dem Arm. Irgend etwas knackte. Dann erfüllte die Stimme das Zimmer.
    »Kleine Abreibung gefällig, Bubi? Kleine Abreibung gefällig?«
    Harry riß den Kopf in die Höhe und sah den Kassettenrekorder, der vor dem Kriminalbeamten stand. Er schrie auf und drückte die Hände auf die Ohren. Aber es half nichts. Die Stimme redete weiter. Es war Wirklichkeit. Er stopfte sich die Finger in die Ohren. Aber immer noch hörte er Wortfetzen, hörte Spott, Verachtung und krümmte sich vor Abscheu und Angst.
    »So'n kleines Ding im Höschen ... oho, oho - wollen wir uns mal ansehen ... kleine Eierchen ... drücken ...«
    Das Entsetzen schlug über ihm zusammen, und er begann zu weinen. Das Gerät wurde ausgeschaltet. Er spürte, wie jemand ihm mit fester, aber behutsamer Hand die Finger aus den Ohren zog.
    »Wer hat das mit dir gemacht, Harry?« fragte der Inspector.
    Weinend sah Harry auf. Das Gesicht des Mannes war ernst, aber seine Augen waren gütig und zwingend. Sie erweckten Vertrauen. Sie verlangten die Wahrheit. Aber alles sagen -, nein, das konnte er nicht. Niemals. Das nicht. Aber irgendwas mußte er sagen. Er mußte sprechen. Alle warteten.
    »Ich zeig's Ihnen«, sagte er.

    Lynley und Barbara folgten Harry Morant zum Haupttor der Schule hinaus. Sie überquerten den Parkplatz vor dem Ostflügel und schlugen den Fußweg ein, der zum Haus Kalchas führte. Die Schüler waren im Unterricht, das ganze Gelände wie verlassen.
    Harry trottete schweigend vor ihnen her und rieb sich dabei mit einem Arm über das rote Gesicht, als könne er so die Spuren seines Weinens verwischen. In der Hoffnung, daß der Junge allein mit ihnen eher sprechen würde, hatte Lynley Lockwood überredet, zurückzubleiben.
    Aber Harry schien fest entschlossen, so lange wie möglich stumm zu bleiben und die Polizei ja nicht zu nahe kommen zu lassen. Mit gekrümmten Schultern lief er vor ihnen her und blickte immer wieder verstohlen nach rechts und links. Als sie nur noch zwanzig Meter von Kalchas entfernt waren, rannte er beinahe und verschwand im Haus, noch ehe Lynley und Havers die Tür erreicht hatten.
    Er erwartete sie in der Halle, ein zitternder kleiner Schatten in der dunkelsten Ecke. Lynley bemerkte, daß das Haus Kalchas den gleichen Grundriß hatte wie Erebos und daß es ebenso reparatur- und renovierungsbedürftig war.
    Harry wartete, bis sie die Tür geschlossen hatten, ehe er an ihnen vorbeischlüpfte und zur Treppe lief. Er rannte zwei Treppenabsätze hinauf, dicht gefolgt von Lynley und Havers. Nicht ein einziges Mal drehte er sich um, um zu sehen, ob sie ihm folgten. Im Gegenteil, es schien, als hoffte er, sie abschütteln zu können, und beinahe wäre es ihm im oberen Korridor auch gelungen, wo er plötzlich zur Südwestecke des Gebäudes abbog.
    Sie fanden ihn vor einer Tür wieder. Er wirkte noch kleiner, wie geschrumpft, und er stand fest an die Wand gepreßt, als hätte er Angst, man könne ihm in den Rücken fallen.
    »Da drin«, sagte er nur.
    »Da hast du Matthews Strumpf gefunden?« fragte Lynley.
    »Auf dem

Weitere Kostenlose Bücher