03 - Geheimagent Lennet und die Saboteure
gemächlich in seinen Sessel zurück. Die beiden Gesten deuteten darauf hin, daß der Engländer mit seiner Geduld am Ende war.
Lennet tat so, als hätte er die Änderung im Verhalten des Colonels nicht bemerkt, und fragte mit kindlichem Augenaufschlag: »Nennt sich Mister Beauxchamps während seiner Dienststunden ebenfalls ,Mr. John Smith'?«
Colonel Hugh ließ sich gut zehn Sekunden Zeit, um seine innere Ruhe zurückzugewinnen und auf die schnippische Frage des jungen Agenten zu reagieren - ohne sie indessen zu beantworten. Mit frostiger Stimme sagte er: »Ich muß daran zweifeln, daß Sie von Ihren Chefs über die außergewöhnliche Bedeutung Ihres Auftrags informiert worden sind. Bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich mich von Ihnen für dumm verkaufen lasse. Höchste Zeit, daß Sie zur Kenntnis nehmen, einen Offizier des englischen Geheimdienstes vor sich zu haben - einen erfahrenen, abgebrühten Mann dieses Fachs!«
Das Französisch des Colonels war manchmal etwas holprig und eigenartig in der Betonung, aber immer sachlich und korrekt.
»Ich fürchte beinahe", fuhr er fort, »daß sich Ihre vorwitzige Art bei der Durchführung der wichtigen Mission nachteilig auswirken könnte. Deshalb möchte ich Sie ersuchen, sich etwas mehr zusammenzunehmen. Haben Sie mich verstanden?«
So ist das also, dachte Lennet in diesem Augenblick, du stehst zum erstenmal der hohen britischen Obrigkeit gegenüber und mußt dich gleich schon zur Ordnung rufen lassen.
Er gab aber klein bei und sagte: »Jawohl, Mr. Smith, ich habe Sie richtig verstanden.«
Der Engländer wandte sich wieder dem Thema der Unterredung zu: »Ich möchte Ihnen jetzt erklären, was von Ihnen erwartet wird. Lassen Sie mich zunächst eine Feststellung treffen, die etwas hochtrabend klingen mag: Das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und Frankreich hängt vom Erfolg oder Mißerfolg eines achtzehnjährigen Geheimagenten ab, der Lennet heißt.«
»Sie wollen damit sagen: von mir...?«
Colonel Hugh nickte kurz mit dem Kopf, und über das Gesicht des jungen Franzosen glitt ein Lächeln des Stolzes.
»Fängt schon gut an", sagte Lennet, »ich werde an der Sache viel Spaß haben.«
Der Engländer wollte gerade seinen Vortrag fortsetzen - da klopfte es leise an die Tür.
Die Sekretärin des Colonels, ein ältliches Fräulein in blauem Kostüm, trat in den Raum und schob einen Teewagen vor sich her. Vom Besuch ihres Chefs nahm sie keine Notiz.
Der Engländer wandte sich an seinen jungen Gast: »Mögen Sie Tee... Sie als Franzose...?«
»Sehr gern, Mr. Smith.«
Im Nu war die Stimmung besser als vorher. Die Sekretärin blickte interessiert umher, lachte und ließ dabei ihre stattlichen Zähne blitzen. Zugleich verriet der große Chef durch ein leichtes Zucken des Schnurrbärtchens, daß er wieder guter Laune war.
»Etwas Milch...?« fragte die Sekretärin Lennet höflich.
»Nein, danke.«
»Mit Zitrone?«
»Nein, danke.«
»Aber sicher etwas Zucker...?«
»Ja, bitte - zwei Stück.«
Das ältliche Fräulein sorgte brav für alles und ging wieder nicht ohne ein nochmaliges freundliches Lächeln für den sympathischen jungen Fremden.
Colonel Hugh und Lennet saßen sich nun dicht gegenüber, die Hände beschäftigt mit den friedlichversöhnenden Teetassen.
»In Großbritannien", sagte der Engländer, »wird in allen Büros um halb fünf Tee gereicht.«
»Eine ausgezeichnete Idee", erwiderte der Franzose.
Colonel Hugh schlürfte genießerisch an der Mischung aus Tee und Milch, die ihm seine Sekretärin aus zwei gleichen Teilen zubereitet hatte, und nahm wieder das Thema auf:
»Großbritannien und Frankreich - das wissen Sie genauso gut wie ich - haben in mancher Beziehung sehr unterschiedliche Auffassungen. Denken Sie nur an die Probleme des ,Gemeinsamen Marktes'. Nun, diese Meinungsverschiedenheiten haben während der letzten Jahre schon mehrere böse Krisen heraufbeschworen. Und im Augenblick ist die Lage wiederum sehr gespannt. Ein einziger Wassertropfen könnte genügen, um das Faß überlaufen zu lassen.«
Lennet hörte aufmerksam zu und warf nur hin und wieder eine Frage oder eine kurze Bemerkung ein.
»Angesichts dieser bedrohlichen Anhäufung von Mißverständnissen und Erschwernissen, die sich selbst zwischen befreundeten Nationen ergeben können, haben sich nunmehr auf beiden Seiten Menschen guten Willens zusammengeschlossen, um die Gefahren einer möglichen Entzweiung energisch zu bekämpfen. In diese Aktion sind auch Sie,
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