03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
gestützt, schleppte ich mich mühsam vorwärts.
„Entschuldige, Choga!“ Tanisha war umgekehrt und kam mir entgegen.
„Lass dich unterhaken.“
Es war mir nicht recht, mich von ihr stützen zu lassen. „Wir müssen zusammenhalten“, sagte sie und wich nicht von meiner Seite. „Deine Lehrerin ist eine gute Frau.“ Ich hätte Tanisha gern genauer erklärt, was sie erwartete. Doch ich war froh, wenn meine Atemluft zum Gehen reichte.
Endlich erkannte ich den Schein eines Feuers. Sein Licht leuchtete durch die Finsternis wie der wahre Ursprung niemals erlöschender Wärme. Wäre die selbstlose Liebe zwischen den Menschen ein Baum gewesen, so hätte er hier seine Wurzeln gehabt. Ich war glücklich, sie wieder entdeckt zu haben.
Zu dieser späten Stunde glichen die Urwaldbäume Riesen, die sich dunkle Tücher über die Köpfe gezogen hatten. Die kleinen rechteckigen Lehmhäuser waren kaum zu erkennen. Wäre ich hier so wie Tanisha zum ersten Mal bei Dunkelheit hergekommen, hätte ich mich vielleicht sogar gefürchtet. Die wahre Schönheit des Compounds wurde schon von der Nacht verschluckt. Tanisha hakte sich bei mir fester ein.
„Warte auf den Morgen und du wirst sehen, wie wundervoll friedlich es hier ist“, beruhigte ich sie.
Eziras winziges Dorf gruppierte sich um eine große Feuerstelle. Der Platz darum war sehr weit, so dass dort getanzt und mit vielen Menschen, die gelegentlich aus der Siedlung kamen, gefeiert werden konnte. Die etwa ein Dutzend Hütten, in denen die Bewohnerinnen und gelegentlichen Gäste schliefen, hielten dazu respektvollen Abstand. Das Kochhaus und die Kräuterküche, zwei offene Hütten, waren der Feuerstelle am nächsten und in der Dunkelheit die einzigen Umrisse, die sich als Schatten vor dem flackernden Feuer abzeichneten.
Eine Gruppe von Frauen und Mädchen hatte sich davor versammelt und erhob sich zu unserer Begrüßung. Mein Herz schlug vor Aufregung und Anstrengung bis zum Hals. Ezira, klein und zart, war wie früher in braune Tücher gehüllt. Sie wirkte noch zerbrechlicher, als ich sie in Erinnerung hatte. Dennoch strahlte sie eine Kraft aus, die nicht von ihrem Körper ausging.
„Choga, meine Tochter“, sagte sie schlicht. „Ich heiße dich willkommen.“
Sie wandte sich Josh zu, der instinktiv einen Schritt zurückwich. „Joshua hat mich doch nicht etwa vergessen?“, meinte sie mit einem Augenzwinkern. „Erinnerst du dich noch an unseren Fluss?
Gleich dort drüben, wo jetzt noch Dunkelheit ist, da ist das Wasser, das du so gern hast.“
Josh blickte die Frau, die gerade mal anderthalb Köpfe größer war als er, schüchtern an. „Du weißt noch, dass ich gern schwimme?“
Mein kleiner Sohn begegnete der alten Frau mit großer Scheu. Sie verbarg ihr Gesicht wie gewöhnlich zur Hälfte hinter einem mehrfach gefalteten Tuch aus brauner Baumwolle, das sie sich um Kopf und Hals schlang.
Tiefe, schlecht verheilte Narben waren damit vor neugierigen Blicken verborgen. Meine Lehrerin sprach selten über ihre entstellenden Verletzungen, die sie sich als Kind zugezogen hatte, als sie ins offene Feuer gefallen war.
Ezira stellte uns zunächst zwei älteren Frauen vor. Nach ihrer und Buchis Überzeugung durfte eine Heilerin weder stillen noch an ihren „unreinen“
Tagen arbeiten. Jüngere Frauen wie ich entschlossen sich deshalb nur dann für diesen Beruf, wenn sie keine Kinder mehr bekommen wollten. Was bedeutete, sich gegen eine Ehe entscheiden zu müssen. Tanishas Zukunftspläne kannte ich nicht, aber ich war überzeugt, das Schicksal wüsste eine Antwort, wenn es so weit wäre.
Anschließend machte Ezira uns mit sieben Mädchen bekannt, die sie anleitete, Pflanzen zu sammeln und Felder zu bestellen. Jede könnte später einer ausgebildeten Heilerin als Helferin zur Seite stehen. Das Wissen, das Ezira ihnen schenkte, würde einmal dazu beitragen, ihre Familien zu ernähren.
Wir aßen, erzählten und wir lachten. Nach langer Zeit war ich wieder unbeschwert. Auch Josh, der den Tag über still gesessen hatte, tollte herum.
Eziras jüngste Schülerinnen, kaum dem Kindesalter entwachsen, spielten mit Josh ein wenig Fangen. Allmählich zogen sich die anderen zurück. Sie gingen früh schlafen, da sie mit
dem ersten Tageslicht ihre Arbeit begannen. Ezira ließ es sich nicht nehmen, Tanisha höchstpersönlich eine eigene Hütte zuzuweisen. Buchi führte Josh und mich zu einem Lehmbau mit einem Dach aus Palmwedeln und Matten am Boden. Mehr Ausstattung gab es
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