03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
nicht. Die einzige Fensteröffnung verfügte nicht über Scheiben, sondern wurde mit hölzernen Läden geschlossen.
Josh nahm all das gar nicht mehr wahr, sondern schlief sofort erschöpft ein. Ich verspürte keine Neigung, mich schlafen zu legen, wo mir die Sorgen und der Husten ohnehin keine Ruhe gegönnt hätten. Die kühlere Nachtluft tat meiner Lunge gut, und ich kehrte zum Feuer zurück, um mich auf einen der Hocker zu setzen.
In dieser Nacht war es so still, dass ich das gleichmäßige Atemgeräusch aus den gewiss 50 Meter entfernten Lehmhütten zu hören glaubte. Ich genoss den Anblick der Funken, die in die Schwärze der Nacht aufstiegen, und legte mir Mutters rote Decke um die Schultern. Ich dachte über die schwierige Situation auf der Farm nach und gestand mir ein, dass ich Angst hatte. Zum ersten Mal fragte ich mich: Hatte ich mir zu viel zugemutet?
Ezira machte sich mit einem leisen Räuspern bemerkbar. „Bei manchen Reisen geht nur der Körper fort und der Geist bleibt zurück in der Heimat.“ Mir war wohl unschwer anzumerken, was mich beschäftigte. In ihrer Stimme lag eine eigentümliche Mischung aus Besorgtheit und leichtem Vorwurf. „Wenn ich dich anblicke, sehe ich keine 25-Jährige, sondern eine Frau, die viel Kummer hat. Schmerz, der sie vergessen lässt, wie schön das Leben ist. Dass es aus Lachen und Scherzen besteht.“
Ich konnte nichts dagegen unternehmen, dass ich weinen musste. Die Tränen kamen ohne Umweg direkt aus meinem tiefsten Inneren. Ezira legte ihre Hände auf meinen Rücken. Ihre Kraft ließ mein Schluchzen verebben, der Husten hörte auf.
„Ich möchte dir so viel erzählen und weiß gar nicht, wo ich beginnen soll“, sagte ich. Doch meine Lehrerin meinte, das könne warten. Sie wisse schon einiges von Amara.
Nach dem Angriff auf unsere Farm hatten Magdalena und ich Amara in Lagos angerufen und sie um Hilfe gebeten. Ich erfuhr erst später, dass meine Mentorin nicht sogleich nach Jeba gefahren war, sondern den Umweg über Ezira gemacht hatte. Die beiden waren gemeinsam mit Buchi zu dem Schluss gekommen, dass ich in den Urwald kommen sollte, um mich auszukurieren. Obwohl Ezira so abgeschieden lebte, war sie dennoch eingebunden. So wusste sie auch von dem Überfall auf unsere Farm.
„Das Mädchen, das du mitgebracht hast, gefällt mir. Sie ist ein guter Mensch. Ihr Glaube bedeutet ihr wohl sehr viel und du bist keine Muslimin.
Dennoch hat das Schicksal euch zusammengeführt. Aber ihr werdet es nicht leicht miteinander haben.“
„Ich muss dir etwas gestehen, Ezira“, sagte ich. „Tanisha soll nicht nur Heilerin werden. Ich möchte, dass sie meine Nachfolgerin wird.“
„Deine Nachfolgerin?“ Die alte Lehrerin war verwundert.
„Ich merke, dass ich nicht mehr die Kraft habe, meinen Gefährtinnen eine Hilfe zu sein.“
Ezira schüttelte traurig den Kopf. „Kein Wunder, dass du so bedrückt bist.
In deinem Alter sollte man sich nicht mit der Frage auseinander setzen, wann man sterben muss.“ Sie rieb meinen Rücken, wie sie es früher getan hatte, wenn ich mutlos war.
„Eigentlich lebe ich mit diesem Gedanken seit Joshs Geburt!“ Ich zog die Tränen durch die Nase hoch wie
ein Kind. Niemandem sonst, erst recht nicht Bisi, die solche Angst um mich hatte, hatte ich das gestehen können. „Das ist die Wahrheit, die ich all die Jahre verdrängt habe“, sagte ich. „Tanisha ist meine ganze Hoffnung.
Jemand muss sich doch um meine Gefährtinnen kümmern, wenn ich es nicht mehr kann.“
Ezira legte den Arm vertraulich um mich. „Deine Absichten sind gut.“ Sie seufzte. „Aber das Richtige kann sich schnell in sein Gegenteil verkehren.
Mit Tanisha hast du dir eine große Aufgabe aufgeladen. Ist der jungen Frau wirklich klar, was sie erwartet?“
„Nein, wohl nicht“, gab ich zu.
„Und dir selbst? Ahnst du, wie schwer es für sie sein wird, sich einzufügen?“ Wieder verneinte ich. „Das Schicksal wird euch leiten“, sagte sie und ermahnte mich: „Versuch deine Sorgen loszulassen. Denn sie belasten dich zu sehr.“ Ezira begleitete mich zu meiner Hütte. „Ich bin immer für dich da. Jederzeit.“ Sie küsste mich auf die Stirn.
Als ich mich tief bückte, um in den niedrigen Eingang zu schlüpfen, stieß ich mir trotz aller Vorsicht den Kopf an.
Unter Frauen
Es hatte in der Nacht geregnet, doch an diesem unserem ersten Morgen glitzerten die Sonnenstrahlen auf den nassen Blättern. Es war bereits warm und die Feuchtigkeit entwich dampfend
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