03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
aufwächst?“
„Seine männliche Seite ist noch nicht erwacht. Sie wird es, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Doch dann wird er die Frauen nicht benutzen, sondern achten.“ Die Bitterkeit, die in diesen Worten mitschwang, verriet die
Erfahrungen einer Frau, die den Umgang mit Männern mied.
Aus einer der Hütten trat Tanisha mit Faraa. Sie war genau eines jener Opfer männlicher Arroganz. Ihr Bruder hatte nicht den Mut gehabt, dafür zu sorgen, dass ihr der Respekt entgegengebracht wurde, der jeder Frau zusteht.
Tanisha fühlte sich, wie Ezira es geahnt hatte, sichtlich unwohl. Ich winkte sie heran. Erleichtert fing sie meine Geste auf und setzte sich auf den letzten freien Hocker.
Das Mädchen, das Josh zuletzt frisiert hatte, war mit seinen Frisierkünsten nicht zufrieden. Kreischend löste sie die bereits hochgebundenen Zöpfchen.
Josh begann unverdrossen von vorn.
Ezira lächelte schief: „Eines wird er auf diese Weise auf jeden Fall lernen -
Geduld zu üben.“
Die beiden Mädchen, die das Geschehen mit zunehmendem Verdruss beobachtet hatten, standen auf. Die eine zögerte noch, ihre Freundin zog sie jedoch zu der Gruppe, in deren Mitte mein Sohn Friseur spielte. Die Forschere der beiden baute sich vor Josh auf; ihr Name war Nkem.
Ich wollte bereits aufstehen, doch Ezira legte ihre Hand beruhigend auf mein Bein. „Josh muss sich selbst helfen. Er ist es doch gewohnt, unter Frauen zu leben.“
„Zu Hause ist das anders“, entgegnete ich schwach. „Niemand würde sich daran stören, dass mein Sohn bei mir ist.“
„Dann ist es doch gut, dass es hier mal anders ist“, entgegnete Ezira ernst.
Die Wortführerin Nkem blickte feindselig auf Josh herab, der verblüfft aufschaute. „Ein Junge hat hier nichts zu suchen“, sagte das Mädchen ziemlich laut.
Jene, die Josh gerade frisiert hatte, wandte den Kopf ab und rückte ein Stück von ihm fort. Er raffte sein Tuch enger um den schmalen Leib und wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte.
„Stört es dich, wenn ich ihr die Haare mache?“, fragte er und schlug dann in jener ruhigen Art vor, die ich so an ihm liebte: „Ich flechte dir auch die Haare, wenn du möchtest.“
„Das kann meine Freundin besser“, gab Nkem schnippisch zur Antwort.
„Wenn du schon hier sein musst, dann setz dich nicht einfach so zwischen uns Mädchen. Da drüben ist auch noch Platz.“ Sie meinte nicht etwa Ezira, Tanisha und mich, sondern deutete auf den mehr als hundert Meter entfernten Ausgang des weitläufigen Compounds. In ihrem Dorf hockten Frauen und Männer gewiss nur bei Festen zusammen. Doch ihre Geste bedeutete mehr als das: Sie wünschte meinen Jungen offensichtlich fort.
„Da will ich nicht hin“, sagte Josh entschieden. „Setz du dich doch dorthin, wenn du nicht bei uns sein willst.“
„Wir sind Mädchen“, schnappte Nkem, „du musst gehen!“
„Ich darf bei Mädchen sitzen. Bei uns zu Hause ist das auch so.“ Damit war die Sache für Josh geklärt. Er schlang die Arme um seine Beine und blickte zu Boden. Mit dieser Verweigerung hatte seine Gegnerin offensichtlich nicht gerechnet. Beistand suchend blickte sie in die Runde, aus der sie keine erkennbare Unterstützung erhielt, und stapfte, ihre Freundin an der Hand, zornig davon. Josh hatte gesiegt und durfte an diesem Morgen dem dritten Mädchen die Haare flechten. Er machte sich an die Arbeit. Allerdings zeigte eine steile Falte auf seiner Nasenwurzel seinen Unmut. Zumindest hatte er seine „Aufnahmeprüfung“ im Kreis der Mädchen bestanden.
„Er wird aufpassen müssen, dass sie ihn nicht dauernd zum Frisieren bitten!“ Ezira kicherte. „Muss gar
nicht so einfach sein, sich hier als einziger Junge zu behaupten. „
Da Tanisha nicht verstand, was Ezira so offenkundig amüsierte, übersetzte ich es ihr in Haussa und sie schüttelte den Kopf: „Ich finde es nicht gut, dass er nur mit Mädchen zusammen ist.“
Ihre Meinung überraschte mich. Gerade sie, die in einer von Männern dominierten Gesellschaft aufgewachsen und vor ihr geflohen war, hätte doch Eziras und meine Einstellung teilen müssen!
„Wenn dein Sohn groß ist, wird er es schwer haben, mit seinesgleichen zurechtzukommen, wenn er jetzt nur mit Mädchen und Frauen aufwächst.“
Tanisha sprach leise, aber sehr bestimmt. „Hast du keine männlichen Verwandten, bei denen er leben kann?“
Tanisha kannte meine Geschichte bislang nur aus Andeutungen, und dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um die
Weitere Kostenlose Bücher