03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
in seinen Adern fließt.“
Ich krabbelte gerade auf allen vieren aus dem Fluss und wollte mich pitschnass ans Ufer fallen lassen. Jetzt aber wich meine Niedergeschlagenheit in Sekundenschnelle einem hellwachen Alarmzustand. „Er hat es wahrscheinlich vergessen“, sagte ich schnell.
„Wir leben schon immer sehr weit vom Harem entfernt.“ Meine gestotterten Ausflüchte waren viel zu durchschaubar. „Er könnte ohnehin nicht mehr den Harem übernehmen, nicht wahr? Warum lassen wir ihm nicht seine sorglose Kindheit?“ Schwer schnaufend stützte ich meine Hände auf die Knie und stand vorgebeugt vor ihr. Nicht bereit für die Auseinandersetzung, die sich abzeichnete.
Patty richtete sich auf, ihr Blick durchbohrte mich. „Dein Sohn ist sieben, wenn ich richtig gerechnet habe. In seinem Alter mussten die Jungen ihre Mütter und damit unseren Compound verlassen, um ein Mann zu werden.
Er aber lebt wie ein Mädchen, trägt ein Kind auf dem Rücken herum.“ Sie machte eine Pause und setzte dann nachdrücklich hinzu: „Ein muslimisches. Nein, Tochter, der Enkel von Papa David muss seine wahre Bestimmung kennen lernen. Ich war die erste Frau deines Vaters, und ich werde dafür sorgen, dass er sie erfährt.“
So wie sie die Welt sah, war ich dazu auch gar nicht berufen. Ich war nur eine Tochter. Josh hingegen ein künftiger Mann, ein Herrscher .. Es schien fast so, als hätte Patty nur deshalb den weiten Weg zu uns unternommen, um Dinge ins Lot zu bringen, die ihrer Meinung nach nicht stimmten. Sie spielte wieder einmal mit dem Schicksal anderer Menschen. Doch diesmal ging es um Josh!
Der geschenkte Vater
Schon während ich tropfend nass hinter Patty her zurück zum Compound
lief, überlegte ich fieberhaft, was ich tun sollte. Überließ ich es der kaltherzigen Haremskönigin, meinem Sohn die Vergangenheit zu erklären, so würde er irgendwann wenig später vor mir stehen und mich fragen: Mama, warum hast du mir meinen Großvater verschwiegen? Und ich müsste mich verteidigen. Obwohl ich ihn doch eigentlich beschützen wollte.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto stärker fragte ich mich, wie ich wohl reagiert hätte, wenn Mama Bisi mir erzählt hätte, was ich gerade zuvor von Patty erfahren hatte. Wäre ich ein Kind wie Josh gewesen, ich hätte meinen Vater wohl gehasst. Weil ich die komplizierten Erwachsenen nicht verstanden hätte. Als Kind hätte ich aus all dem nur einen Schluss ziehen können: Der Harem musste ein Ort gewesen sein, in dem es keine Liebe, sondern nur rücksichtslose und berechnende Menschen gab. Aber das stimmte nicht! Dort hatten Frauen wie Ada und Bisi gelebt, die mich vorbehaltlos liebten. Auch meine Mutter gehörte dazu. Sie hatte jedoch eine andere Art, es zu zeigen.
Jetzt war ich selbst Mutter, hatte meine eigenen Erfahrungen und Einsichten. Und ich bemühte mich darum, „Kopf“ und „Herz“ miteinander in Einklang zu bringen. Nicht nur Patty zu hören und zu verurteilen.
Sondern trotz allem die Sonnenstrahlen in mein Herz fallen zu lassen, damit das Vertrauen, das ich meinem Vater gegenüber gehabt hatte, nicht einging wie eine Blume ohne Licht. Ich versuchte, Patty und damit auch meinen Vater zu verstehen: Er hatte sich selbst eine Lebensaufgabe gestellt. Ob ich sie gut fand, spielte keine Rolle.
Um ihn ging es: Er wollte mit seiner Überzeugung dem Leben anderer Menschen einen Sinn geben. So gesehen hatte Mama Patty Recht: Nichts anderes hatten Bisi, Ada und ich getan, indem wir unsere kleine Gruppe nach Jeba geführt hatten. Wenn sie meinte, in mir deshalb die „besondere Tochter“ erkennen zu können - meinetwegen. Ich kannte schließlich die Geheimnisse der Wunderblume ..
Wir kamen dem Compound nur sehr langsam näher, denn die nassen Tücher auf meinem Kopf hatten ein nicht gerade geringes Gewicht. Ich bemühte mich, es zu ignorieren, und bereitete mich auf mein Gespräch mit Josh vor. Es musste sehr bald stattfinden. Bevor Patty sich meinen Sohn schnappte. Aber wie konnte ich es anfangen, in seiner Vorstellung eine Welt auferstehen zu lassen, die so brutal zerstört worden war? Deren einst gut gemeinte Gedanken sich derart ins Gegenteil verkehrt hatten?
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Natürlich! Das war es! Ich konnte ihm durchaus die Wahrheit erzählen, jene nämlich, die ich erlebt hatte! Dazu musste ich nur wieder ein Kind werden. Dann würde ihn die Wahrheit schützen, anstatt ihn zu verletzen.
Plötzlich war meine Stimmung wie ausgewechselt. Ich
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