03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
hätte.
127
„Mama, hast du deinen Papa eigentlich lieb gehabt?“
„So wie du mich lieb hast und Faraa?“ Josh nahm die Kleine jetzt auf den Arm. „Nein, so nicht. Aber auf eine andere Art. Weißt du, Männer sind anders als Frauen. Jedenfalls die, die ich kenne oder kannte. Sie kuscheln nicht. Sie sind immer stark.“ Ich lächelte ihn zärtlich an. „Jedenfalls glauben sie das.“
Er beugte gerade den Kopf runter und ließ sich von Faraa an seinen schon wieder viel zu langen Locken zupfen. „Hat er dich nicht in den Arm genommen?“, fragte er.
Ich musste lange nachdenken. Nein, mir fiel keine Situation ein. Vielleicht hatte es sie gegeben. „Papa David strahlte wie ein ferner Stern, den du nicht berühren kannst.“ Joshs Blick tastete sich zu mir hoch, ich las darin Unverständnis. „Das hat mir nichts ausgemacht“, fuhr ich fort. „Bisi, Ada und auch Mama Lisa nahmen mich in die Arme. Das war genug Liebe.“
Das Kleinkind setzte seinen Haaren gewaltig zu und er musste dieses Spiel beenden. Er legte Faraa zwischen uns. Wenn er angestrengt über etwas nachdachte, kniff er die Lippen zusammen. Dann platzte die gewaltige Frage heraus: „Mama, habe ich eigentlich auch einen Vater?“
„Natürlich, Schatz, jeder Mensch hat einen Vater. Dein Vater hieß Felix.
Aber er ist an einer schweren Krankheit gestorben. Darum hast du ihn auch nie getroffen.“
„Warst du traurig, als mein Vater starb?“
Ich hätte lügen müssen, um die Antwort zu geben, die mein Sohn jetzt erwartete. „Wir hatten vorher einen sehr schweren Streit, Josh. Ich hatte mit deinem Vater schon lange nicht mehr gesprochen, als er starb.“ Ich hatte mich mit Josh bei Amara vor ihm versteckt! Das war die Wahrheit, und Patty hatte mir an diesem Morgen erst
bewiesen, wie richtig ich gehandelt hatte: Felix hätte Josh zu seinem Nachfolger erzogen. Ich hätte mein Kind nie wieder gesehen.
Faraa begann zu nörgeln; sie hatte sich an Joshs Aufmerksamkeit gewöhnt und forderte sie nun ein. Doch jetzt hatte mein Sohn keine Zeit für sie.
„War mein Vater wie Papa David? Wie ein ferner Stern, den man nicht berühren kann?“
Ich liebte mein Kind so sehr, dass ich ihm am liebsten wenigstens solch einen Vater gebastelt hätte. Wenn ich dafür weiterhin seine Unschuld hätte bewahren können! Doch an Felix gab es keine guten Seiten. Ich sah in ihm einen Mann, der Sexualität als pures Instrument der Unterdrückung missverstanden hatte. Auch Josh hatte ich durch Vergewaltigung empfangen. Denn Kinder, noch dazu möglichst viele, waren für Felix ein Zeichen seiner Kraft und Macht. Sie banden Frauen an ihn, gaben ihm vielleicht auch das Gefühl der Unsterblichkeit. Aber er bewirkte das Gegenteil: Vielmehr hatte dieser Mann seinen Nachkommen ein tödliches Erbe mit auf den Weg gegeben.
Doch auch Felix musste positive Seiten gehabt haben. Sie waren nur versteckt gewesen. Sonst wäre Josh nicht so ein wunderbarer Mensch geworden.
„Dein Vater Felix war anders als Papa David. Er war kein unerreichbarer Stern. Sondern ein Mann wie viele andere auch. Er tat, was er für richtig hielt. Er war groß und sah gut aus.“ Ich suchte verzweifelt nach etwas Schönem, woran Josh sich festhalten konnte, wenn er künftig an seinen Vater dachte. Allerdings fiel mir nichts ein. Ich wollte doch nicht, dass er in seinem Vater, von dem er sich kein eigenes Bild machen konnte, einen Schuft sah! „Papa David hielt viel von Felix. Darum wollte er, dass Felix mich heiratete. Er führte mich selbst zum Altar. Ich trug ein weites weißes Kleid und sah ganz
schön aus. Alle sagten, dass ich eine hübsche Braut gewesen sei.“ Das stimmte sogar!
Ich atmete erleichtert auf, als ich Joshs glückliches Gesicht strahlen sah.
„Das hätte ich gern gesehen, Mama!“
„Stell dir vor, ich hatte sogar richtige Schuhe an. Aber an dem Tag hat es geregnet und im Harem war alles matschig. Da mussten mich die anderen Frauen tragen, damit mein Kleid nicht schmutzig wurde.“ Ich lachte und die beiden Kinder freuten sich mit mir.
Es war mir gelungen, Josh einen Vater zu schenken, den er nicht verachten musste. Nun galt meine Sorge Patty, die sich Josh irgendwann vorknöpfen und ihm ihre Version erzählen würde. Daher traf ich eine Entscheidung, die gegen die eisernen Regeln des Respekts vor dem Alter und der Würde einer Haremskönigin verstieß: Ich würde Patty daran hindern, Felix in Joshs Augen schlecht zu machen.
Die Sonne sank immer tiefer und es wurde dämmrig.
Weitere Kostenlose Bücher