03_Im Brunnen der Manuskripte
Geschäfte verlangten. Ich
musterte die Schaufensterfronten der Plottschmiede, Lochflicker, Grammatacisten, Tempomacher, Stimmungsmischer und
Paginatoren und überlegte, was sie für Dienstleistungen anboten und welche spezifischen Tricks wohl zu ihrem Handwerk
gehörten.
Auch die aufdringliche Fußnotofonwerbung machte mir
wieder ziemlich zu schaffen. Diesmal versuchten sie, einen
Sonderposten »Bremser und sture Vorgesetzte« loszuschlagen.
Ich versuchte, sie abzustellen, aber es gelang mir bloß, die
Lautstärke etwas zu drosseln. Beim Weitergehen entdeckte ich
eine vertraute Gestalt im Gewimmel der Händler und Spekulanten. Wie immer trug er das Outfit des Afrikaforschers: Tropenhelm, kurze Hosen und schwere Stiefel, Safarihemd und ein
Lederholster mit einem dicken schwarzen Revolver. Ganz
unverkennbar: Commander Bradshaw, der Star von vierunddreißig spannenden Abenteuerbüchern für Jungen zum Ladenpreis von sieben Shilling Sixpence in Halbleinen. Längst vergriffen natürlich. Seit seiner Pensionierung gab Commander Bradshaw sich redlich Mühe, bei Jurisfiktion als graue Eminenz
aufzutreten. Er hatte schließlich alles schon mal erlebt – jedenfalls behauptete er das unentwegt.
»Hundert?« hörte ich ihn verbittert fragen, als ich näher kam.
»Können Sie wirklich nicht mehr zahlen?«
Der Action-Szenen-Makler, mit dem er verhandelte, zuckte
die Achseln. »Löwen-Attacken sind heutzutage nicht mehr so
gefragt.«
»Aber sie ist wirklich furchterregend, Mann, absolut furchterregend!« beteuerte Bradshaw. »Man spürt den heißen Atem
der Bestie direkt im Genick! Könnte so ein Frauenhüpfbuch
mal richtig aufmöbeln! Wäre mal was anderes als die ewigen
Partys, Gucci-Handtaschen und Kleidchen, was?«
»Also schön, hundertzwanzig. Mein letztes Angebot. Nehmen Sie das Geld oder lassen Sie's bleiben.«
»Blutsauger!« murmelte Bradshaw, nahm die Geldscheine
und gab dem Händler einen kleinen Glasbehälter, in dem sich
vermutlich die schockgefrorene Löwenattacke befand.
Als er sich umdrehte und mich erblickte, steckte er hastig das
Geld ein und lüpfte höflich den Tropenhelm. »Guten Morgen!«
»Guten Morgen!« erwiderte ich.
Er wedelte mit dem Zeigefinger. »Sie sind Miss Havishams
Lehrling, nicht wahr? Wie war doch gleich Ihr Name?«
»Thursday Next.«
»Dunnerlittchen! Ist das wahr?«
Er war fast dreißig Zentimeter größer als bei unserer letzten
Begegnung und ging mir jetzt fast bis zur Schulter.
»Sie sind –«, sagte ich, stoppte mich aber gerade noch rechtzeitig..
»Größer geworden?« ergänzte er. »Sehr richtig, mein Mädel.
Ich weiß es zu schätzen, wenn sich Frauen nicht von konventionellen Manieren einschränken lassen. Melanie – das ist meine
bessere Hälfte – ist auch ziemlich ruppig. ›Trafford‹, sagt sie
immer – das ist mein Vorname –, ›Trafford‹, sagt sie, ›du bist
ein Haufen Elefantenmist.‹ Einfach so, aus heiterem Himmel!
Ich war gerade von einem strapaziösen Abenteuer in Zentralafrika wieder nach Hause gekommen, bei dem ich beinahe am
Spieß gebraten worden wäre. Der heilige Smaragd der Umpopo
war nämlich von zwei schwedischen Goldsuchern gestohlen
worden, müssen Sie wissen, und –«
»Commander?« fragte ich hastig, um zu verhindern, dass er
mir eine seiner endlosen, höchst unwahrscheinlichen und meist
auch ziemlich rassistischen Geschichten erzählte. »Haben Sie
Miss Havisham heute Morgen gesehen?«
»Ganz recht so«, sagte er munter. »Unterbrechen Sie mich
nur. Ich weiß es zu schätzen, wenn eine Frau einem alten Sack
wie mir dezent zu verstehen gibt, dass er sie langweilt. Sie und
Mrs Bradshaw haben wirklich sehr viel gemeinsam. Sie müssen
sich unbedingt kennen lernen.«
Wir gingen den geschäftigen Korridor hinunter. 9
9 »Vera, bist du das? Was für ein Tag! Nichts als Lärm und Regen. Bitte
erzähl mir weiter von Anna!«
»Nun, in jener Nacht auf dem Ball tanzte Anny mit Vronskij. Er wurde ihr
Schatten und bald auch noch mehr.«
»Nein! Alexeij Vronskij und Anna – eine Affäre! Was hat denn ihr Ehemann dazu gesagt? Er hat es doch bestimmt herausgefunden?« »Mit der
Zeit, ja. Ich glaube, Anna hat's ihm gesagt, aber erst, als sie schwanger war.
Von Vronskij ! Das ließ sich wohl nicht verbergen.« »Und was hat er
gesagt?«
»Glaub es oder glaub es nicht, er hat ihnen beiden vergeben! Er hat darauf
bestanden, dass die Ehe fortgesetzt wird, und sich bemüht, so zu tun, als
wär'
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