03_Im Brunnen der Manuskripte
selbstbewusstes junges Mädchen von
etwa sechzehn Jahren zu Wort. »Ich bin Catherine Linton, die
Tochter von Edgar und Catherine«, sagte sie, »ich hasse und
verachte Heathcliff, weil er mich fünf Tage von meinem sterbenden Vater fern gehalten hat. Er hat mich gezwungen, Linton
zu heiraten, um Thrushcross Grange an sich zu bringen, den
alten Gutshof der Lintons.«
»Ich bin Linton«, erklärte ein kränklich aussehender Knabe
und hustete in ein Taschentuch, »der Sohn von Heathcliff und
Isabella. Ich hasse und verachte Heathcliff, weil er mich allen
Glücks beraubt und als Gefangenen hat sterben lassen, als
Bauernopfer in seinem Kampf um Rache.«
»Hört, hört«, murmelte Catherine Linton.
»Ich bin Catherine Earnshaw«, sagte die letzte Frau und warf
den anderen in der Gruppe einen verächtlichen Blick zu, »und
ich liebe Heathcliff mehr als mein Leben.«
Die Gruppe stöhnte. Einige schüttelten den Kopf, andere
rollten die Augen, und die jüngere Catherine steckte zwei
Finger in den Hals, als müsse sie kotzen.
»Keiner von euch kennt ihn so, wie ich ihn kannte, und wenn
ihr ihm mit Freundlichkeit begegnet wärt statt mit Hass, dann
wäre all das nicht geschehen!«
»Du verlogenes Biest!« schrie Hindley und sprang auf die
Füße. »Wenn du nicht Edgar geheiratet hättest, weil er wohlhabend und einflussreich war, dann wäre Heathcliff vielleicht
halbwegs vernünftig geblieben. Nein, du hast dir alles selbst
zuzuschreiben, du egoistische kleine Schlampe.«
Trotz Miss Havishams angestrengter Bemühungen, die Ruhe
wiederherzustellen, klatschten einige der anderen Beifall.
»Er ist ein richtiger Mann«, sagte Catherine unter dem Gejohle der anderen, »ein Held à la Byron, der das moralische und
bürgerliche Gesetz transzendiert; meine Liebe für Heathcliff ist
wie Urgestein. Ich bin Heathcliff! Er liegt mir immerfort im
Sinn. Nicht als Vergnügen, da ich mir auch nicht stets Vergnügen bin, sondern als mein eigenes Wesen!«
Isabella schlug mit der Hand auf den Tisch und drohte Ca-therine ärgerlich mit dem Finger. »Ein richtiger Mann würde
seine angetraute Ehefrau lieben und in Ehren halten«, rief sie,
statt alle Menschen in seiner Umgebung mit seiner Rachsucht
zu quälen, weil er zwanzig Jahre zuvor eine Kränkung erlebt
hat! Was ist schon dabei, dass Hindley nicht nett zu ihm war?
Ein guter Christ würde ihm vergeben und lernen, in Frieden zu
leben!«
»Ja!« sagte die jüngere Catherine, die jetzt ebenfalls aufsprang
und laut schreien musste, um sich im allgemeinen Aufruhr der
aufgestauten Gefühle verständlich zu machen. »Das ist der
Dreh-und Angelpunkt des Problems. Heathcliff ist so unchristlich, wie man nur sein kann. Er ist ein Teufel in Menschengestalt, der darauf aus ist, alle in seiner Umgebung zu verderben.«
»Ich stimme Catherine zu«, sagte Linton mit matter Stimme.
»Der Kerl ist von Grund auf verdorben.«
»Komm vor die Tür und wiederhol' das noch einmal!« fauchte die ältere Catherine und drohte ihm mit der Faust.
»Du möchtest wohl, dass er sich in der Kälte den Tod holt,
nehme ich an?« rief die jüngere Catherine und starrte die Mutter, die sie geboren hatte, zornig an. »Es waren doch deine
arroganten Allüren, die uns diesen ganzen Ärger eingebracht
hat! Wenn du ihn so geliebt hast, wie du behauptest, warum
hast du ihn nicht einfach geheiratet und die Sache damit erledigt?«
»Ruhe jetzt!« brüllte Miss Havisham so laut, dass die ganze
Gruppe zusammenzuckte. Die beiden Catherines setzten sich
verlegen schweigend wieder hin.
»Vielen Dank«, sagte Miss Havisham. »Dieses ganze Geschrei
hilft niemandem. Wenn wir die Wut in Wuthering Heights
irgendwie unter Kontrolle bringen wollen, dann müssen wir
uns wie zivilisierte Wesen benehmen und unsere Gefühle
vernünftig erörtern.«
»Hört, hört«, sagte eine Stimme aus den Schatten. Die Gruppe verstummte und wandte sich dem Neuankömmling zu, der
begleitet von zwei Leibwächtern und seinem Agenten ins Licht
trat. Er war dunkelhaarig und sah außerordentlich gut aus. Bis
zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie begriffen, warum sich die
Figuren in Wuthering Heights oft so irrational aufführten, aber
nachdem ich seine durchdringenden schwarzen Augen und
seine dämonische Schönheit gesehen hatte, verstand ich alles.
Heathcliff besaß ein geradezu elektrisierendes Charisma; er
hätte auch eine Kobra bezaubert.
»Heathcliff!« schrie Catherine, sprang in seine Arme und
umarmte
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