03 - Keiner wie Wir
das sofort und mit Begeisterung bestätigt. Jedoch handelte es sich bei Stephanie Grace um keine dumme Person und schon gar keine einfältige. Wollte sie den kräftezehrenden täglichen Marathon überstehen, gab es beim Thema Essen keine Alternative, als genau das zu tun:
Essen, und zwar täglich und warm.
Der Besitzer des Cafés, das in Wahrheit nur eine etwas bessere Bäckerei war, überließ ihr an jedem Morgen für ein paar Cent die Brötchen des Vortages. Die stellten ihre hauptsächliche Nahrung dar. Abends bereitete sie sich darüber hinaus eine dieser Instant-Tütensuppen zu. Die wärmte durch und sorgte dafür, dass Stevie nicht auf die Heizung zurückgreifen musste. Denn derzeit war sie leider restlos pleite.
Weshalb sie an jenem ersten Montagabend seufzend und mit Sicherheit nicht sehr glücklich, ein absolutes Tabu brach: Stevie griff ihre eiserne Reserve an. Jene, die für den absoluten Notfall gedacht war:
Der Sarg-und-Sonstiges-Fond.
Vorgesehen für akute Erkrankungen, Gläubiger, die sie sogar erfolgreich bis hierher gestalkt hatten und unvorhergesehene Sterbefälle.
Viel hatte sie bislang nicht beiseitelegen können, kümmerliche zweihundert Dollar waren zusammengekommen, die garantiert nicht genügen würden, um einen Sarg zu bezahlen. Und jetzt vergriff sie sich daran! Eine andere Lösung wollte ihr aber partout nicht einfallen. Tat sie es nicht, ging das mit der Arbeit irgendwann zwangsläufig schief. Sooft Stevie sich jedoch dieses durchaus überzeugende Argument vorbetete, es erleichterte ihr Gewissen dummerweise auch nicht sonderlich.
Ja, ihre Arbeitszeit belief sich eher auf zwölf als zehn Stunden. Was leider nicht bedeutete, dass sie um acht Uhr morgens damit begann und ehrlich erschöpft abends um acht nach Hause ging.
Aus unerfindlichen Gründen war innerhalb der Bürozeiten eine einstündige Pause eingebettet. Stevie verbrachte sie meist in einem nahen Park auf einer Bank, wo sie ihre altbackenen Brötchen aß. Dann begab sie sich erneut auf den Weg zu jenem viktorianischen Bau, um die zweite Hälfte ihres Arbeitstages hinter sich zu bringen.
Der endete übrigens selten vor zehn Uhr abends.
Oh nein, einfach hätte sie ihr Leben ganz bestimmt nicht bezeichnet. Weder die Kälte in der Nacht, noch die langen Fußmärsche waren auf die Dauer gesehen wirklich empfehlenswert. Außerdem begann Stevie langsam zu ahnen, dass sie die Geschichte mit dem Winter wohl auch ein wenig auf die leichte Schulter genommen hatte. Und nach einer Woche ausschließlich mit Brötchen und synthetischer Suppe hätte sie für einen simplen Zuckerkrapfen getötet.
Dennoch:
Zum ersten Mal seit nahezu vier Jahren war sie beinahe zufrieden. Praktisch konnte ihr Leben nur eine Richtung nehmen: von ganz weit unten nach oben.
Und sie war bereit, alles zu tun, alles zu geben und auf jedes noch so geringe Vergnügen zu verzichten, damit es ein sehr langer und erfolgreicher Gipfelsturm wurde ...
* * *
DEMNÄCHST
bei
Die ersten beiden Kapitel als Leseprobe:
Die meisten Menschen geben sich mit dem zufrieden, was sie sehen. Kaum jemand macht sich die Mühe, hinter die Fassade zu blicken.
Es ist anstrengend, zeitaufwendig, und das Resultat fällt in den allermeisten Fällen recht irritierend aus. Denn unsere Spezies besteht im überwiegenden Maße aus Blendern, die sich nur zu gern selbst blenden lassen.
Das bewahrt uns davor, unser Gegenüber tatsächlich zu kennen, was nicht selten ein Segen ist ...
»... die Quartalszahlen sind im Vergleich zum Vorjahr um einen halben Prozentpunkt gesunken. Nichts Dramatisches ...«
Andrews Kopf fährt hoch.
Mit Genugtuung sieht er Smith zusammenfahren. Wenn auch nur gedanklich. Doch die plötzlich in akuter Geschwindigkeit auf dessen Stirn ausbrechenden Schweißperlen lassen keine Zweifel offen.
Niemandem am Konferenztisch ist die Unterbrechung aufgefallen. Es läuft, wie Andrew es gewohnt ist: schnell, effizient, kaum merklich.
»... doch selbstverständlich inakzeptabel ...« Smith wagt einen vorsichtigen Blick in seine Richtung, und Andrew senkt knapp den Kopf. Das Zeichen für den Versager, das Ruder gerade noch einmal herumgerissen zu haben.
Dann und wann ist es erforderlich, Andrews Vorstandsmitglieder daran zu erinnern, dass dieser Konzern unter seiner Führung steht. Er allein urteilt darüber, ob ein Verlust als dramatisch zu bewerten ist oder nicht. Dabei geht es ihm weniger um den halben Prozentpunkt, den sie an Gewinn eingebüßt haben. Obwohl diese
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