03 - Keiner wie Wir
Nachricht bei den Aktionären mit Sicherheit nicht auf Gegenliebe stoßen wird. Nein, es ist die Anmaßung eines Urteils, die Andrew unangenehm aufstößt. Smith weiß, dass sein Posten ebenso unsicher ist, wie der jedes anderen Belegschaftsmitgliedes.
Andrew schließt keine Freundschaften. Das hat er noch nie und er wird gewiss nicht innerhalb seines Unternehmens damit beginnen. Zumal ihm dieser Kerl absolut unsympathisch ist.
Und selbst das ist eher der Standard, denn im Grunde ist Andrew niemand sympathisch.
So soll es sein.
»... denke ich, Einsparungen bei den internen, weniger erfolgsrelevanten Kostenfaktoren wären angezeigt. Mein Augenmerk liegt auf ...«
Erneut blickt Andrew auf und diesmal hält Smith merklich inne.
Beinahe noch verhasster, als Insubordination, ist Andrew Norton Zeitverschwendung.
Mutmaßungen bedeuten reine Verschwendung. Und zwar seiner Zeit. Er war innerhalb der letzten Jahre nicht so erfolgreich, weil er andere damit hausieren lässt. Dieses Meeting ist laut Terminplan bereits seit dreißig Sekunden beendet. Womit Andrews Anwesenheit nicht mehr vertretbar und Smiths Geschwafel nicht nur ärgerlich, sondern destruktiv ist .
»Ich denke, damit wären alle anstehenden Themen abgehandelt.« Wie üblich spricht er äußerst gedämpft. Das fördert die Konzentration seiner Zuhörer und sichert ihm deren ungeteilte Aufmerksamkeit. »Noch irgendwelche Fragen?«
Ein rein rhetorischer Satz. Niemand ist dumm genug, ihn als Aufforderung zu werten. Nach fünf Sekunden nickt Andrew knapp in die Runde und begibt sich zur Tür.
»Mr. Norton?«
Eilfertig hastet Smith zu ihm, doch Andrew setzt seinen Weg unbeirrt fort und gönnt dem Idioten keinen Blick. »Smith.« Er ist kein Mann vieler Worte, denn auch dies entspräche einer Verschwendung von Zeit und Energie.
Schweigen ist Gold.
»Noch einmal zu meinem Memo.« Smith gibt sich lässig, er ist ein Profi. Man könnte die beiden Männer für gute Bekannte halten. Obwohl der Ältere von ihnen soeben um seinen Jahresbonus kämpft - welchen Andrew ihm bereits vor zwei Minuten gestrichen hat. Wenn nicht sogar sein Job in akuter Gefahr ist, welchen Andrew gnädigerweise noch einmal unangetastet lassen wird. Smith versieht seine Aufgaben nicht schlechter, als die anderen Versager, die seinem Vorstand angehören. Trotzdem Smiths sonstige Praktiken bei ihm nicht auf Gegenliebe stoßen. Doch er kann großzügig sein. Wenn es ihn nichts kostet und er in der Zukunft einen Gewinn für sich kalkulieren darf.
»Ich denke, für die notwendigen Einsparmaßnahmen könnte ich Ihnen bis morgen ein weiteres Memo vorlegen ...« Sie haben den Aufzug erreicht, als sich dessen Türen öffnen, nickt Andrew knapp. »Um acht auf meinem Schreibtisch.«
»Kein Problem, Sir.«
Darauf erfolgt keine Erwiderung, Andrew wendet jedoch den Blick nicht ab, und so sieht er unverhohlenen Hass, als Smiths Fassade etwas zu früh fällt. Denn erst eine Sekunde später schließen sich die Türen.
Ja, der Versager hasst ihn. Wie jeder andere seiner Angestellten auch, davon ist Andrew sogar überzeugt. Und auch das ist kein Zufall.
Beliebte Firmeninhaber – Vorstandsvorsitzender in seinem Fall, seit drei Jahren sind sie an der New Yorker Börse notiert – garantieren zwar ein angenehmes Betriebsklima, jedoch weder Leistung noch Gewinn. Für eine anheimelnde Atmosphäre sorgt Andrew mit überdurchschnittlicher Bezahlung, indem er hart, unnachgiebig und strikt ist, für die exorbitanten Gewinne. Die Tatsache, dass die Holding seit Jahren Marktführer ist, und zwar in allen Bereichen, die sie bedient, gibt seiner Strategie recht.
Außerdem hat Andrew Norton es auf diese Art mit achtundzwanzig Jahren zu Amerikas jüngstem Selfmade-Milliardär gebracht.
* * *
A ngekommen in der Tiefgarage, eilt er zu seinem Wagen und blickt im Gehen auf die Uhr.
Zeit ist Geld.
Er mag Geld, daher befindet er sich immer in akuter Zeitnot.
Plötzlich wird er von einem Widerstand blockiert, der wie aus dem Nichts vor seiner Brust aufgetaucht ist. Ohne nachzudenken, greift er zu und hilft der Person, die offensichtlich nicht in der Lage ist, gefahrlos Tiefgaragen zu durchqueren, wieder auf die Beine.
Verblüfft blickt er an sich hinab und sieht ein Mädchen. Klein und zierlich, kaum größer als ein Meter sechzig. Damit nicht genug, versucht es sich soeben, aus seinem Griff zu winden. »Das kann ich selbst!«
Der Kopf ist gesenkt, mehr als ein kleines, bleiches Ohr und den oberen Teil ihrer Stirn
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