03 - Keiner wie Wir
anzusprechen, und ich schlage dich windelweich. Wage es, sie anzu rühren , und du bist tot, Ratte!
Dem flohverseuchten Nager entgeht die akute Gefahr, in der er schwebt. »Ich nahm an, wir hätten einen Termin, Sir.« Ohne den Blick von Miss unschuldig und schuhlos, Kent zu nehmen, nähert er sich beiläufig. Nach einem letzten warnenden Blick zu dem vor Schreck leichenblassen Mädchen tritt Andrew eilig um den Schreibtisch. Er stellt sich genau zwischen Stuhl und Tisch und verdeckt damit die Sicht auf das Desaster darunter.
Auf Miss Kent übrigens auch.
Prompt reckt Smith den Hals – seine Miene schwankt zwischen Aufregung und Enttäuschung.
»Das Memo sollte mir bereits um acht vorliegen«, sagt Andrew eisig.
»Das Memo ... ja« Der Kretin hat sich in beachtlicher Geschwindigkeit gefangen. »Es liegt noch bei meiner Assistentin und sollte Ihnen in den nächsten zwanzig Minuten zugestellt werden.« Zentimeter für Zentimeter verlagert er beim Sprechen das Gewicht, um doch noch einen Blick auf das Mädchen erhaschen zu können. Andrew folgt seiner Bewegung in synchron gespiegelter Abfolge.
Schließlich schielt der Bastard in einem Akt der Verzweiflung an seinem Chef vorbei – und ist erfolgreich. Die Augen weiten sich erneut und er fährt sich zu allem Überfluss mit der Zunge über die Unterlippe.
Dieser Anblick lässt bei Andrew das nächste Phänomen des Tages eintreten:
Mordlust.
»In fünf Minuten auf meinem Schreibtisch «, wispert er.
Flüchtig erstarrt Smith, dann nickt er und verlässt eilig den Raum. Nicht jedoch, ohne zuvor einen letzten Blick auf die Kleine geworfen zu haben.
* * *
S tille beherrscht den Raum mit der flauschigen blauen Auslegeware.
Es hat den Eindruck, als würde keiner der beiden atmen. Andrew hat die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt und übt sich angestrengt im Massieren seiner Schläfen.
Erst nach einer Weile mustert er die scheinbar erstarrte Miss Kent aus dem Augenwinkel.
»Sie gehen hinaus und warten, bis Gail mit Ihren Schuhen eingetroffen ist!«
Kaum ist das letzte Wort ausgesprochen, schießt sie auch schon aus dem Stuhl hoch, stürzt an ihm vorbei in Richtung Tür und ... schlägt der Länge nach hin. Deutlich vernimmt Andrew das satte Krachen, als ihr Kopf an der Kante der nur angelehnten Tür einrastet.
»Verdammt!« Im nächsten Moment ist er bei ihr, wobei er die plötzlich aufkeimende Übelkeit ignoriert.
Reglos liegt sie da und für einen Sekundenbruchteil glaubt er tatsächlich, dass sie ohnmächtig ist. Doch als er sie behutsam auf den Rücken dreht und in ihr leichenblasses Gesicht blickt, stöhnt sie auf und schlägt die Hände vor das Gesicht. »Oh, Mist!«
»Könnte man so sagen ...« Behutsam nimmt er ihre Hände herunter und beäugt argwöhnisch die Schwellung, die sich in rasanter Geschwindigkeit auf ihrer Stirn entwickelt. »Das dürfte blau werden.«
Jetzt erst geht Andrew auf, dass sie zwischenzeitlich erstarrt ist. Das Blut hat vollständig ihr Gesicht verlassen, die Lippen besitzen keine Farbe mehr. Anscheinend hat sie die Atmung eingestellt.
»Josephine?«
Sie schluckt, atmet aber immer noch nicht. Ihr entsetzter Blick lässt ihn nicht los.
»Josephine?« Besorgt beugt Andrew sich über sie. »Fehlt Ihnen etwas?«
»Loslassen. Bitte!« Beträchtliche Panik schwingt in diesen Worten mit.
Andrew runzelt die Stirn, erst dann versteht er und entlässt sie aus seinem Griff. Kaum ist das getan, holt sie bebend Luft und etwas Farbe kehrt in ihr Gesicht zurück. Die Hände jedoch sind abwehrend erhoben und sie fixiert Andrew, als sei der ein höchst gefährliches Raubtier.
Er weicht zurück, und sobald sie genügend Bewegungsfreiheit besitzt, wirft sie sich herum, springt auf und will kopflos aus dem Raum fliehen.
Der Unfall scheint vergessen.
Ein Fehler! Denn nach nur zwei Schritten geben ihre Beine nach. Diesmal gelingt es Andrew rechtzeitig einzugreifen, um einen erneuten Anschlag auf die tatsächlich edle Tür zu verhindern.
Und endlich hält er sie in den Armen.
Für einen winzigen Moment schließt er die Lider und genießt das Gefühl, ihr so nah zu sein, dabei atmet er fasziniert den blumigen, so frischen Duft ein.
Dann erst betrachtet er sie, sieht, dass sie abermals leichenblass ist, erkennt das Entsetzen und die Panik und weiß zum ersten Mal seit ... zwanzig Jahren nicht, wie er sich verhalten soll.
Ein Teil von ihm will sie küssen, alles vergessen, sie noch fester an sich ziehen und nie wieder loslassen. Er will
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