03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
Mythen. Das hatte sie seit der ersten Nacht getan, als sie warm und mit gestilltem Blutdurst in den muskulösen Armen ihres Père de sang , eines Schmiedes, gelegen und er ihr von den magischen Blutgeborenen – den Fola Fior – und den geheimnisvollen Elohim erzählt hatte.
Geschichten, die sie später abends vor dem Schlafengehen an die kleine Caterina weitergegeben hatte, und jetzt hatte sich ihr kleiner Liebling, ihre starke und praktische Tochter, ihre anmutige, todbringende Ballerina revanchiert und Renata mit magischen Geschichten und Worten bedacht, die endlose Möglichkeiten enthielten – Worte, die jedoch in eine klare Wahrheit gehüllt waren.
»Es gibt die Blutlinie noch, und ein Mythos aus uralten Zeiten wandelt über die Erde. Ich habe ihn gesehen.«
»Gefallener und Blutgeborener, cara mia? Wieso wussten wir dann nichts von seiner Existenz?«
»Weil ihn Monster gleich zu Beginn an sich brachten, sofort nach seiner Geburt. Sie versteckten ihn zwischen noch schlimmeren Monstern, die sich an seiner Schönheit labten und versuchten, seinen Geist zu zerstören.«
»Ist es ihnen gelungen?«
»Ich glaube nicht. Sie boten mich ihm als Mahl an. Er hätte mich leertrinken, mich sterben lassen können. Aber das tat er nicht, obwohl er weiter Hunger hatte, innerlich brannte und mehr Blut brauchte. Stattdessen fragte er mich nach meinem Namen und ließ mich am Leben, damit ich zu dir zurückkehren kann. Aber er ist verletzt, Mama, und schwer angeschlagen. Außerdem wird er gejagt.«
»Ich werde mich darum kümmern, cara mia. Du kümmerst dich inzwischen um die Dinge, die du so gut kannst, la mia ballerina scura. Diene Dante Baptistes Herz und Seele. Führe ihn und gewinne sein Vertrauen.«
Renata lenkte die Vespa zwischen zwei weißen Transportern hindurch. Nur wenige Zentimeter blieben zu beiden Seiten. Die Fahrer, die einander gerade als inkompetent und nicht einmal den Speichel wert, um die Schuhe des anderen zu putzen, beschimpften, hielten gerade lange genug inne, um Renata bewundernd zu mustern, als sie an ihnen vorbeikurvte.
»Ritorna, bella«, rief der eine ihr nach. »Una bella donna merita un uomo, non un ragazzo.«
»Hai ragione!«, schrie Giovanni. »Ne conosci uno?«
Renata lachte: »Du verausgabst dich. Das ist der doch gar nicht wert!«
»O doch.«
»Vielleicht bist du ja wirklich nur ein Junge, und noch dazu ein dummer.«
»Ich bin seit Jahrhunderten kein Junge mehr«, entgegnete Giovanni, dessen Finger sich fester um ihre Taille legten.
»Ja, vielleicht nicht.«
Ist sich Caterina ganz sicher?, schickte er eine Frage an Renata.
Dass es ein Blutgeborener ist? Assolutamente.
Touristen mit Strohhüten und Kameras, die wie Rosenkränze um ihre Hälse baumelten, gafften sie an. Ihre Augen hinter den Sonnenbrillen wirkten verblüfft, wenn sie mit einem höflichen, kurzen Hupen an ihnen vorbeibrauste. Die Römer sahen nicht einmal auf, sondern traten instinktiv beiseite, um sie durchzulassen.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser junge Blutgeborene auch noch ein Erschaffer sein soll.
Forse sì, forse no. Sein Vater war auf jeden Fall ein Gefallener. Was Caterina miterlebt hat, was sie ihn tun sah … Renata zuckte leicht die Achseln. Ich kann es mir nicht anders erklären. Sonst hätte es dieses Kind nie geschafft, Dutzende von Gefallenen in Stein zu verwandeln.
Giovanni schwieg. Seine Finger trommelten leicht gegen Renatas Hüften, während er nachdachte. Ihr Fils de sang war extrem vorsichtig. Er betrachtete die Dinge immer von allen Seiten und Blickwinkeln – wie ein Juwelier, der ein ungeschliffenes Juwel begutachtete, ehe er es weiterverarbeitete. Sie zügelte ihre Ungeduld und überließ ihn seinen Gedanken.
Nachdem sie sich mit dem Motorroller über die von Touristen überfüllte Piazza di Spagna geschlängelt hatte, wurde sie langsamer und parkte schließlich am östlichen Rand des Platzes zwischen zwei vornehmen Limousinen. Sie schaltete den Motor ab.
»Sie ist eine Sterbliche, unsere gute Caterina«, meinte Giovanni, dessen Lippen sich ganz in der Nähe von Renatas Ohr befanden. Sein Atem fühlte sich warm auf ihrer Haut an. »Vielleicht hat man sie ja hinters Licht geführt, möglicherweise erlag sie auch einer Sinnestäuschung.« Er ließ ihre Hüften los. »Wenn der Junge wirklich ein Blutgeborener ist, dann ist er eventuell auch zu solchen Täuschungsmanövern in der Lage.«
»Vielleicht, aber warum sollte er sich die Mühe machen?« Renata stieg von ihrem Roller
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