03 - Sarggeflüster
erklärbar. Nein, ich würde lieber die Tränenschleusen öffnen und bis tief in die Nacht hinein vor mich hinschluchzen.
Bye bye, Reality-Show.
Nicht dass ich anschließend einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen oder mich an der beeindruckenden Anzahl von Klientinnen würde erfreuen können, die ich dank dieser Show gewonnen hatte. Ich musste immer noch Ty finden, die Dinner-Party meiner Mutter überstehen und mich um Mandys Brautkleid kümmern.
Ich verdrängte das unheimliche Gefühl, das mich urplötzlich überkam. Immer eins nach dem anderen.
16
„Das gibt's doch gar nicht.“ Esther blieb der Mund weit offen stehen, als sie auf das total überladene weiße Kleid starrte, das Mandy und ich ihr am Freitagabend zu Hause vorbeigebracht hatten. „So was hab ich ja noch nie gesehen.“
„Ich weiß, auf den ersten Blick ist es echt unerträglich, aber ich setze mein vollstes Vertrauen in dich.“ Ich tätschelte ihr den Rücken. „Du schaffst das schon.“
Sie starrte das Kleid eine ganze Weile einfach nur sprachlos an.
Ich konnte ihr das ja so was von nachfühlen.
„Es ist nur so ...“, begann sie schließlich, aber dann versagte ihr die Stimme und sie schluckte, um den riesigen Kloß in ihrem Hals loszuwerden.
„Ich weiß, ich weiß. Es ist laut. Und aufdringlich. Und gruselig. Aber das war die gesamte DKNY-Kollektion von letzter Saison schließlich auch, und dann haben sie sich Janie Strausberg geholt, und sieh dir das Ergebnis jetzt an!
Geschmackvoll. Ein bisschen eklektisch vielleicht, aber damit kann ich leben.
Und hip. Sie hat etwas Schlechtes in etwas Gutes verwandelt. Genau das wirst du für uns auch tun.“
Sie wischte sich über die Augen. Schuldgefühle ergriffen mich. „Na, jetzt komm schon. Bitte wein nicht. Denn dann fange ich auch an zu weinen, und das kann ich so was von überhaupt nicht gebrauchen, weil ich nämlich in weniger als zwei Stunden vor jeder Menge Kameras stehen werde.“ Darum hatte ich schon auf der Herfahrt ausgiebig geheult, damit ich genug Zeit hatte, mein Make-up zu erneuern.
Mandy ebenfalls.
„Es ist nur so ... wunderschön.“
„Ich weiß ja, es ist viel verlangt, aber ... Was hast du gerade gesagt?“
Sie schniefte und wischte sich erneut über ihre feuchten Augen. „Ich sagte, das ist das wunderbarste Kleid, das ich je gesehen habe.“ Sie konnte ihren ehrfurchtsvollen Blick gar nicht mehr davon abwenden. „So ein Kleid wie das hier habe ich mir immer gewünscht.“
„Wie das hier?“
Sie nickte ein paar Mal. „Mit genau diesen kleinen Schleifen am Saum. Und auf dem Rock. Und der großen Schleife hinten.“ „Diese Schleifen?“ „Und die Corsage mit den Perlen.“ „Diese Corsage?“
„Und die zwei Meter lange Schleppe mit den Extradingern dran.“
„Diese Schleppe?“
„Also, das ist ganz genau wie in meinem Lieblingstraum. Ich würde nicht das kleinste bisschen daran ändern.“ Unsere Blicke trafen sich. „Das kann nicht das Kleid sein, über das du am Telefon gesprochen hast.“
„Natürlich nicht“, entgegnete ich.
Mandy stieß mich an und warf mir einen Sag's-ihr-Blick zu.
Ich nahm all meinen Mut zusammen. Hier kam der mutige Vampir extraordinaire, der es mit jedem aufnahm und sich von niemandem etwas sagen ließ. Ich öffnete den Mund, um Esther kurz und bündig die ganze Wahrheit zu sagen. Das ist das schrecklichste Kleid in der ganzen freien Welt, und wenn wir nicht so verzweifelt wären, würden wir es einfach erschießen und so aus seinem Elend erlösen. „Vielleicht doch.“
Das war noch nicht ganz das, was ich eigentlich hatte sagen wollen, aber immerhin ging es hier um Esthers Traumkleid. Da konnte ich ihr doch wohl kaum erzählen, dass das Teil die Hauptrolle im letzten Teil von Nightmare on Elm Street gespielt hatte und sie wirklich ganz, ganz dringend mehr unter Leute gehen müsste, da sie offensichtlich null Ahnung hatte, wenn es um Mode ging-
Mein Blick wanderte durch die kleine, aber aufgeräumte Wohnung, die alten Filmposter - alles von Giganten bis Zwölf Uhr mittags -, die die Wände zierten.
Jepp, was die Innenausstattung betraf, da fehlte ihr auch noch das ein oder andere Accessoire.
Ich betrachtete den Haufen Stricksachen, der sich neben der Couch auftürmte, den Stapel mit Kreuzworträtseln auf dem Couchtisch. Und ihre Hobbys könnten durchaus auch eine kleine Auffrischung vertragen. Ehrlich, dieser gewandelte Vampir war schon einsam und erbärmlich genug. Wer war ich denn, noch Salz auf ihre
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