03 - Tod im Skriptorium
wurde.«
Fidelma schaute ihm in die arglosen Augen.
»Es ist allerdings klar, daß die Lampe nicht die gan ze Nacht gebrannt haben kann, wenn Dacán gegen Mitternacht oder bald danach umgebracht wurde … es sei denn«, sie lächelte schelmisch, »wir sind Zeugen eines Wunders geworden, des Wunders der sich selbst nachfüllenden Öllampe.«
Cass runzelte die Stirn und wußte nicht, was er von ihren Worten halten sollte.
»Dann ist es so, wie ich sage«, beharrte er.
»Vielleicht. Aber wir haben gehört, daß die Lampe noch brannte, als Bruder Conghus die Leiche entdeckte. Er hat sie nicht aufgefüllt. Sie brannte auch noch, als Bruder Tóla kam und die Leiche untersuchte, und er schwört, daß er sie ebenfalls nicht aufgefüllt hat. Auf meine gezielte Frage erklärte er, daß er sie löschte, als er und sein Gehilfe, Bruder Martan, den toten Dacán zur Untersuchung in die Leichenkammer schafften. Wer hat sie also aufgefüllt?«
Cass dachte einen Augenblick nach.
»Dann muß sie aufgefüllt worden sein, bevor die Leiche entdeckt wurde oder nachdem sie fortgebracht worden war«, sagte er triumphierend. »Schließlich hast du selbst festgestellt, daß die Lampe nicht mehr als eine Stunde gebrannt haben kann, so viel Öl war noch drin. Also muß sie jemand aufgefüllt haben.«
Fidelma sah Cass mit plötzlicher Belustigung an.
»Weißt du, Cass, du entwickelst allmählich den Verstand eines dálaigh. «
Cass gab ihr den Blick mit einem Stirnrunzeln zurück; er wußte nicht, ob sie ihn verspottete oder nicht.
»Na dann …«, sagte er gekränkt und wollte aufstehen.
Sie hob die Hand und winkte ihm zu bleiben.
»Ich scherze nicht, Cass. Im Ernst, du hast mich auf etwas hingewiesen, was ich übersehen hatte. Die Lampe wurde sicherlich aufgefüllt, kurz bevor Conghus die Leiche entdeckte.«
Cass setzte sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder hin.
»Na also! Ich hoffe, ich habe dazu beigetragen, ein kleines Rätsel zu lösen.«
»Wieso ein kleines?« fragte Fidelma.
»Was spielt es schon für eine Rolle, ob eine Öllampe gefüllt oder leer ist?« fragte Cass. »Das Hauptproblem ist, den zu finden, der Dacán umgebracht hat.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Es gibt nichts, was man als unwichtig bezeichnen kann, wenn man nach der Wahrheit sucht. Was habe ich über das Sammeln von Einzelheiten gesagt? Nimm jedes einzelne Stück, auch wenn sie nicht zusammenzupassen scheinen. Sammle sie und heb sie auf. Das gilt vor allem für die Stücke, die seltsam aussehen und unerklärlich scheinen.«
»Aber welche Bedeutung hat eine Lampe in dieser Angelegenheit?« fragte Cass.
»Das wissen wir jetzt noch nicht. Wir bekommen es nur heraus, wenn wir Fragen stellen.«
»Dein Beruf erscheint mir ziemlich kompliziert, Schwester.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Er ist es eigentlich nicht. Ich glaube, dein Beruf ist eher komplizierter, was Entscheidungen angeht.«
»Mein Beruf?« Cass richtete sich auf. »Ich bin ein einfacher Krieger im Dienste meines Königs. Ich halte mich wie jeder Krieger an den Ehrenkodex. Was habe ich da für Entscheidungen zu treffen?«
»Die Entscheidung, wann du töten sollst, wann verwunden und wann nicht. Schließlich ist es deine Aufgabe zu töten, und unser Glaube verbietet uns das. Hast du diesen Zwiespalt je gelöst?«
Cass errötete vor Ärger.
»Ich bin Krieger. Ich töte nur die Bösen – die Feinde meines Volkes.«
Fidelma lächelte gepreßt.
»Das klingt, als wüßtest du, daß das immer ein und dieselben seien. Doch der Glaube sagt, du sollst nicht töten. Wenn wir töten, und sei es auch nur, um den Bösen und Schlechten Einhalt zu gebieten, macht uns dann diese Tat nicht ebenso schuldig wie die, die wir töten?«
Cass schnaubte verächtlich.
»Wäre es dir denn lieber, daß sie dich töten?« fragte er spöttisch.
»Wenn wir den Lehren unserer Religion folgen, dann müssen wir davon ausgehen, daß Christus uns ein Beispiel dafür gegeben hat. Wie Matthäus die Worte des Heilands überliefert: ›Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.‹«
»Na, daran kann man doch nicht glauben«, höhnte Cass.
Fidelma war auf seine Reaktion gespannt gewesen, denn sie hatte mit einigen Lehren der christlichen Theologie lange gerungen und noch nicht den festen Grund gefunden, auf dem sie manche von ihnen vertreten konnte.
»Warum nicht?« fragte sie.
»Weil du eine dálaigh bist. Du glaubst an das Gesetz. Du versuchst, Mörder aufzuspüren und sie vor Gericht
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