03 - Tod im Skriptorium
dazu führen, daß die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Bemühe dich, Dacán im Tode seine Selbstherrlichkeit zu vergeben, und versuche deine eigene Furcht zu verstehen. Du kannst jetzt gehen.«
»Bist du sicher, daß es für mich nichts weiter zu tun gibt?« fragte Necht und blieb zögernd in der Tür stehen.
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Ich rufe dich, wenn ich dich brauche«, versicherte sie ihr.
Als Necht fort war, erhob sich Cass und setzte sich auf den Stuhl, den Necht frei gemacht hatte. Er sah Fidelma mitfühlend an.
»Es läuft nicht gut, nicht wahr? Ich sehe nur noch ein Durcheinander.«
Fidelma schnitt dem jungen Krieger ein Gesicht.
»Machen wir einen Spaziergang an der Küste, Cass. Ich brauche die Brise, um den Kopf klarzubekommen.«
Sie durchschritten das Abteigelände und fanden eine Tür in der Mauer, die auf einen schmalen Pfad hinausging, der in Windungen zum Sandstrand hinunterführte. Der Tag war noch schön, mit böigen Winden, die die vor Anker liegenden Schiffe ins Schaukeln brachten. Fidelma atmete die salzige Seeluft tief ein und mit einem lauten, zufriedenen Seufzer wieder aus.
Cass beobachtete sie mit stiller Belustigung.
»So ist es besser«, sagte sie und warf ihm einen raschen Blick zu. »Das macht den Kopf klar. Ich muß zugeben, das ist die schwierigste Untersuchung, die ich bisher durchgeführt habe. Bei den anderen waren zumindest die Zeugen alle vor Ort, ich hatte also alle Verdächtigen beisammen. Und ich war schon Stunden oder manchmal Minuten nach dem Verbrechen am Tatort, so daß sich das Beweismaterial nicht in Luft auflösen konnte.«
Cass paßte sich ihren kleineren Schritten an, während sie langsam die Küste entlanggingen.
»Allmählich begreife ich einige der Schwierigkeiten, vor denen eine dálaigh steht, Schwester. Ehrlich gesagt, ich hatte früher keine Vorstellung davon. Ich dachte, sie brauchte weiter nichts zu kennen als die Gesetze.«
Fidelma machte sich nicht die Mühe zu antworten.
Sie kamen an Fischern vorbei, die die morgendlichen Fänge aus ihren kleinen, kanugleichen Booten luden. Die Boote nannte man hier naomhóg , was Boote aus Flechtwerkrahmen bedeutete, und sie waren mit codal , einer mit Eichenrinde gegerbten Haut, bespannt, die mit Ledersehnen zusammengenäht wurde. Sie ließen sich gut tragen, drei Männer genügten selbst für das größte von ihnen. Sie lagen hoch im Wasser und tanzten leicht, selbst auf den wildesten Wogen.
Fidelma blieb stehen und sah zu, wie zwei dieser Boote auf das Ufer zuhielten und ein großes totes Meerestier hinter sich herschleppten.
Sie hatte einmal erlebt, wie ein Riesenhai an Land gebracht wurde, und nahm an, dies sei auch einer.
Cass hatte so etwas noch nie gesehen und lief rasch hin, um genauer in Augenschein zu nehmen, was die Fischer da gefangen hatten.
»Ich habe mal eine Geschichte gehört, in der der heilige Brendan an dem Rücken eines solchen Ungeheuers mit einem Boot anlegte, weil er dachte, es wäre eine Insel. Aber so groß dieses Tier auch ist, wie eine Insel sieht es nicht aus«, rief er.
»Der Fisch, an dem Brendan angelegt haben soll, muß viel größer gewesen sein«, erwiderte Fidelma. »Als Brendan und seine Gefährten sich auf der vermeintlichen Insel niederließen und ein Feuer zum Kochen anmachten, spürte der Fisch die Hitze und tauchte weg, und sie konnten sich gerade noch in ihr Boot retten.«
Ein alter Fischer, der ihnen zugehört hatte, nickte weise.
»Das ist eine wahre Geschichte, Schwester. Aber hast du schon mal was von dem großen Fisch Rosault gehört, der zur Zeit von Colmcille gelebt hat?«
Fidelma schüttelte lächelnd den Kopf.
»Als ich jung war, fischte ich meistens oben bei Connacht«, erzählte der alte Fischer, ohne sich lange bitten zu lassen. »Die Leute von Connacht wußten zu berichten, daß es landeinwärts einen heiligen Berg gebe, der Croagh Patrick genannt wird, nach dem großen Heiligen. Am Fuße des Berges liegt eine Ebene, die Muir-iasc heißt, was ›Seefisch‹ bedeutet. Wißt ihr, woher sie diesen Namen hat?«
»Sag es uns«, drängte ihn Cass.
»Sie wird so genannt, weil sie entstand, als der Riesenleib Rosaults bei einem großen Sturm an Land geworfen wurde. Als das Tier tot auf der Ebene lag und verweste, verursachten die üblen Dünste, die von dem Kadaver aufstiegen und sich im Lande verbreiteten, eine schlimme Pest, an der Menschen und Tiere starben. Es gibt viele Dinge auf See, Schwester, viele gefährliche Dinge.«
Fidelma
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